http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1991/0319
Die verbitterten Rammersweirer Bauern wollten „fürchterliche Rache drohen
und die Leistungen jegliche Abgaben der Ortsarmen-Unterstüzung geradezu
verweigern".
Der Gemeinderat forderte das Oberamt nochmals auf, die Verteilung der
Gelder ihm selbst zu überlassen. Die einundvierzig Bürger mußten sich im
Rathaus einfinden. Jener Akt kam wohl nur unter massivem Druck zustande
; hieß es doch in einem Protokoll:
,,In Anbetracht, daß bei der Reparation der Collekten- und Unterstüzungsgelder ein großer
Theil der unterstüzungsbedürftigen Hagelgeschädigten von hier nicht berücksichtigt wurde,
während einundvierzig der ärmsten hiesigen Bürger mit Unterstüzungsbeträgen von 60-80
fl. bedacht wurden, versammelte man unterm heutigen letztere (sie) und veranlasste dieselben
, von den ihnen zugewiesenen Unterstüzungsbeiträgen einen entsprechenden Theil zu
Gunsten der ersterwähnten Hagelbeschädigten abzutreten".
Die einundvierzig Betroffenen beugten sich dem Druck der Mehrheit und
stimmten zu. Jenes Aufbegehren der Rammersweirer „Oberschicht" könnten
wir getrost als bunte Anekdote aus der ansonsten grauen Dorfgeschichte
abtun.
Doch bei näherem Zusehen wird deutlich: Die Vorkommnisse um das Hagelunwetter
von 1859 geben dem heutigen Betrachter Einblick in die Mentalität
der dörflichen Gesellschaft um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Ein
Bündel sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Konflikte trat für uns Betrachter
, gleich einer Momentaufnahme an die Oberfläche.
Wagen wir einmal einen Interpretationsversuch!
Läßt sich das Verhalten der Oberschicht vielleicht ökonomisch begründen?
Nein. Die Tatsache, daß der Staat unwettergeschädigten Untertanen Kollektengelder
zur Verfügung stellte, konnte wohl kein Streitanlaß sein. Bereits
in den Notjahren 1831 /32 kamen ähnliche Kollekten zustande.
Aber, deren Zorn könnte ja an der Höhe der Auszahlungsbeträge liegen!
Gemessen an den damaligen Zeitumständen bedeutete die Verteilung von
2500-3200 Gulden unter einundvierzig Familien tatsächlich eine solch
stattliche Summe, für die sich ein Streit durchaus lohnte. Doch dachten die
Bauern wirklich nur an ihre Geldbeutel? Wie wäre folgender Vorschlag zu
bewerten?
Möglicherweise erzürnte sie der massive staatliche Eingriff in das soziale
Gefüge ihres Dorfes. Denn: Befanden sich nach dem geplanten Geldtransfer
die Angehörigen der Unterschicht nicht in einer wesentlich besseren ökonomischen
Ausgangsposition?
Die staatlichen Behörden agierten offenbar rein paternalistisch und orientierten
sich weniger an sozialen Realitäten als an eigenen Ordnungs- und
Verwaltungsvorstellungen. Die Entschädigung der Hagelgeschädigten erfolgte
demzufolge nach rationalistischen Verteilungskriterien. Für die Ram-
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