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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
71. Jahresband.1991
Seite: 523
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nalsozialismus jene Vermittlungsmission vereitelte, die europäische Lebensaufgabe
zunichte machte. Das war für ihn der härteste Schlag, von dem
er sich nicht mehr erholen konnte. Als er (bereits im Herbst 1932) Badenweiler
freiwillig verließ und dieser Abschied sich dann als endgültig erwies,
mußte er zugleich seine historische Rolle aufgeben, den Nationalsozialismus
als die europäische Katastrophe erleben. 1935 schreibt er aus dem südfranzösischen
„Exil": „Was in Deutschland vorgeht, ist interessant bis zum
bleichen Schrecken. Man muß es studieren. Aber vermitteln? Was sollen
wir da noch vermitteln?"49 Und an die Freundin Annette Kolb: „Früher
konnte ich mir einreden, eine Mission zu haben. Gegen Lügenpest und
Kriegsluftzeuge können wir nichts ausrichten."50 Seine komplexe Situation
innerhalb der antifaschistischen deutschen Exilliteratur ist oft verkannt worden
, seine keineswegs zweideutige, doch distanzierte Haltung (hauptsächlich
weil er die kommunistische Vereinnahmung befürchtete), ist auf Kritik
und Unverständnis gestoßen. Er wurde jedenfalls nicht mehr, wie zur Zeit
der Weißen Blätter, zu einem Anführer des geistigen Widerstands. Maryse
Staiber hat in ihrer These de Doctorat L 'Exil de Rene Schickele (1989) diese
Problematik überzeugend erörtert, und ich darf darauf verweisen. Schickele
war in diesen letzten Jahren ein kranker Mann, er lebte in größter materieller
und psychologischer Not, praktisch zur Wirkungslosigkeit verurteilt. Es
blieb nur die „Flaschenpost" (nach dem Titel des letzten Romans) als Botschaft
des schiffbrüchigen Europäers. Tragische Ironie: in Deutschland
verboten, in Frankreich (besonders im Elsaß) verdächtig!51 Der deutschfranzösische
Elsässer und Europäer war zwischen zwei Stühle gefallen.
Schließlich mußte er auch sein Ideal der Gewaltlosigkeit aufgeben. Als der
2. Weltkrieg ausbrach, konnte er nicht mehr als pazifistischer Europäer
„au-dessus de la melee" stehen, und als sich Faschismus und Kommunismus
(mit dem Hitler-Stalin-Pakt 1939) für ihn deutlich genug als „Zwillinge
" entlarvten52, sah er die Welt in zwei Lager geteilt: Totalitarismus und
Demokratie. Diese westliche parlamentarische Demokratie, die (trotz unerfüllter
Erwartungen) seinem Europa-Ideal entsprach, galt es nun zu verteidigen
, in diesem Sinn plante er eine Zeitschrift mit dem Titel Verteidigung
des Westens herauszugeben, fand aber nicht die finanziellen Mittel dazu.53
Er hat eine Position unmißverständlich angegeben, so in seinen letzten Briefen
an Annette Kolb („Diesmal wenigstens wissen wir, wohin wir gehören
"54), an Thomas Mann („Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich
Konformist und fühle mich ganz und gar auf der rechten Seite"55), der diese
Worte als „Vermächtnis" empfand und bedeutsam hinzufügte: „Ich werde
bei den künftigen Entscheidungen daran denken".56 Wie bitter Schickele
dies erleben mußte — als Scheitern seiner „pazifistischen Idee" — ist aus
zahlreichen Dokumenten bekannt.57 In diesen Zusammenhängen ist auch
der Übergang zum Französischen zu verstehen, bereits 1935/38 als literarischer
Versuch in Le Retour (eine Reaktion auf das Publikationsverbot in
Deutschland58), schließlich (1939) sogar im (unveröffentlichten) Tage-

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