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tisch mit dem von grenzenlosem Haß gezeichneten Bild, das in Dinters Büchern
festgehalten ist und alle wesentlichen Züge der Vorstellungswelt Hitlers
vorwegnimmt.. ."4I Von daher ist an den prahlerisch vorgebrachten
Hinweisen Dinters auf die Wirkung seines Romans auch wohl kaum zu
zweifeln. ,,Von den vielen Tausenden von Zuschriften, die ich auf meinen
Rassenroman hin aus allen Kulturländern der Erde erhalten habe", schreibt
Dinter, „stammen die meisten deutschen aus den unteren Volksschichten,
die aus gebildeten Kreisen sind fast nur von Frauen geschrieben. In nahezu
hundert Briefen wird mir dafür gedankt, daß mein Buch die Briefeschreiber
noch rechtzeitig vor einer jüdischen Heirat bewahrt habe. Ebenso sprechen
mir mehrere Mütter. . . ihren Dank dafür aus, daß mein Buch ihre Tochter
veranlaßt habe, die Verlobung mit einem Juden wieder zu lösen. Es ist mir
ein Fall bekannt, wo ein junger Adliger, der sich mit einer reichen Jüdin
verlobt hatte, nicht weniger als siebzehn Stücke meines Rassenromans von
Bekannten zugeschickt bekam, wodurch er sich veranlaßt sah, die Verlobung
wieder aufzugeben. Mehr als ein Dutzend Leserinnen bekunden,
mein Buch habe ihnen endlich die Erklärung für ihr eheliches Unglück gebracht
. Mehrere davon haben daraufhin die Scheidung von ihren jüdischen
Ehegatten herbeigeführt."42
In dieses Bild der vornehmlichen Leserschaft fügen sich auch die Beobachtungen
, die der Romancier Joseph Roth über das damalige Leseverhalten
der Berliner Bevölkerung gemacht hat, soweit es sich in den Ausleihzahlen
öffentlicher und privater Büchereien niederschlug. „Der Bedarf an völkischer
Literatur", stellte Roth fest, „ist in den öffentlichen Bibliotheken, die
naturgemäß zumeist ja von ernsteren Besuchern in Anspruch genommen
werden, nicht so groß wie in den Leihbibliotheken. In diesen ist die Nachfrage
nach den schlimmsten Erzeugnissen innerer Verhetzung ungemein
groß. Das Machwerk des Herrn Dinter ,Die Sünde wider das Blut' wurde
im Laufe der letzten zwei Monate in einer Leihbibliothek nicht weniger als
317 mal verlangt. Chamberlain ist dieser Art von Lesern scheinbar zu tief
und wissenschaftlich fundiert, denn er wird auffallend wenig begehrt. Sie
halten sich lieber an seine verwässerte Ausgabe Dinter, der die praktischliterarischen
Nutzanwendungen aus seines Meisters Lehren zieht".43 Mit
seiner Trilogie „Die Sünden wider die Zeit" war Dinter zu einem der wirkungsvollsten
Propagandisten innerhalb des völkischen Lagers geworden,
zumal er neben seiner „literarischen Arbeit auch als Propagandaredner hervorgetreten
war; ja, Dinter selber beanspruchte mit „Die Sünde wider das
Blut", dem erfolgreichsten seiner drei Romane, „die völkisch-antisemitische
Bewegung ins Leben gerufen und Millionen Deutsche für den Nationalsozialismus
gewonnen"44 zu haben. So kennzeichnend diese überzogene
Selbsteinschätzung Dinters auch erscheint - richtig daran ist, daß es entscheidend
sein „Verdienst" gewesen ist, das völkisch-antisemitische Lager
aus den Schranken des Sektierertums befreit und seinen antisemitischen
Ideen erstmals eine massenhafte Verbreitung verschafft zu haben.45
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