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ten, um die persönliche Freiheit einzuschränken und die demokratischen
Parteien auszuschalten.110 Aus SA, SS und Stahlhelm rekrutierte Wagner
eine 5000 Mann starke Hilfspolizei und ordnete umfangreiche Verhaftungen
oppositioneller Politiker jeder Couleur an.111 Zu diesem Druck „von
oben" kamen noch die Terroraktionen eigenmächtiger Parteigliederungen.
So auch in Lahr: Der Oberbürgermeister der Stadt, Wolters, hatte die Hakenkreuzflagge
unverzüglich wieder vom Rathaus entfernen lassen (6. März
morgens). Um 9.15 Uhr desselben Tages marschierte vor dem Rathaus ein
50 bis 60 Mann starker SA-Trupp auf. Kurz darauf erschienen die vier NS-
Stadträte Heck, Ringwald, Fritz und Holweg im Büro des Oberbürgermeisters
. Sie erklärten, daß Wolters Verhalten eine Provokation des „nationalen
Deutschlands" wäre und forderten die sofortige Hissung ihrer Flagge. Die
wiederholte Ablehnung ihres Ansinnens beantworteten sie mit der Drohung
, mit Hilfe der unten bereitstehenden SA die Flaggenhissung durchzusetzen
. Wolters rief die Polizei an. Diese hielt sein Schutzersuchen für eine
Angelegenheit, die nicht innerhalb ihrer Entscheidungskompetenz liege.
Wolters solle doch seine Bitte um Schutz vor der SA Landrat Schoch vortragen
. Schoch verhielt sich entsprechend der politischen Gesamtsituation klüger
als Wolters, wenn auch moralisch verwerflich.112 Er erklärte dem in die
Enge getriebenen Oberbürgermeister, daß ,,es sich unter gegebenen Umständen
empfehle, die Hissung der Flagge nicht mit Gewalt zu verhindern."
Wolters wich der Gewalt, die Hitlerfahne „zierte" wieder das Rathaus.113
Für die Vertreter der NSDAP hatte sich der Oberbürgermeister „selbst das
Urteil gesprochen". Das „Weitere" wollten sie veranlassen.114 Dem Versuch
des Stahlhelms, der, um seine Beteiligung an der „nationalen Erhebung
" zu demonstrieren, seine Flagge Schwarz-Weiß-Rot auch auf
dem Rathaus wehen sehen wollte, widersetzte sich niemand mehr.115 Um
noch einen kleinen Rest von Pluralismus zu demonstrieren, wurde von
Seiten der Stadtverwaltung die blau-weiße Flagge Lahrs gehißt.116 Am
10. März wiederholte sich das „Flaggentheater" beim Bezirksamt. Niemand
protestierte, im Gegenteil. Landrat Schoch erklärte im Verlauf dieser
Veranstaltung, er wolle „dem Führer des neuen Deutschland .. . folgen und
getreu des Eides als Beamter seine Pflicht .. .tun".117
Lahr wurde nun gleichgeschaltet, faktisch ohne Widerstand. Am 13. März
ernannte der Stadtrat Hindenburg und Hitler zu Ehrenbürgern der Stadt.118
Noch am gleichen Tag forderte der Lahrer Anzeiger seine Leser auf, „Ruhe
" zu bewahren. Und weiter:
..Wir haben nun einmal eine neue Ordnung in Deutschland, und weil wir Katholiken sind,
fühlen wir uns vor dem Gewissen verpflichtet, die staatliche Autorität und ihre Anordnungen
zu respektieren ... Mögen die Vorgänge dieser Tage den einzelnen hart treffen, so muß er
sich doch bewußt sein, daß nur mit Würde und Standhaftigkeit die Zeit der Prüfung überstanden
werden kann.""9
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