http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1991/0636
Würde war in diesen Tagen nicht gefragt. Dringendste Aufgabe schien
den Nationalsozialisten die Abrechnung mit den Anhängern der „Notgemeinschaft
", die sich bereits aufgelöst hatte.120 Am 14. März wurden
Hausdurchsuchungen durchgeführt, die führenden Personen kamen in
,,Schutzhaft". Das bei dieser Aktion beschlagnahmte Material wurde nach
Karlsruhe gesandt.121 Prompt kam von dort am folgenden Tag die Nachricht
, daß diese ,,Notgemeinschaft" nichts anderes als eine sozialdemokratische
„Spitzelorganisation" sei.122 Für die Nationalsozialisten lief nun
alles nach Wunsch. Den demokratischen Parteien konnte das Festhalten an
rechtsstaatlichen Normen nichts nützen; der KPD war ihr Radikalismus bereits
zum Verhängnis geworden.123 Denn „der Kampf gegen den Marxismus
werde ... nun geführt", erklärte der Gauredner Zimmermann auf einer
NSDAP-Kundgebung. Gleichzeitig polemisierte er gegen das Zentrum, das
erst „die Herrschaft des Marxismus ermöglicht habe". Symbolisch vollzog
Zimmermann die Vernichtung des ihm und seinen Parteigenossen verhaßten
„Weimarer Systems": Die schwarz-rot-goldene Flagge wurde verbrannt.124
Die Menge war nun ausreichend motiviert, um sich anschließend zu einer
Demonstration vor der Redaktion des Lahrer Anzeigerls] einzufinden.125
Am 17. März wurde der „Kampf" weitergeführt. Ein erstes Opfer fand sich
im sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten und Gewerkschaftssekretär
Hans Dürr.126 Andere ortsbekannte Funktionäre kamen ebenfalls in
„Schutzhaft".127 Daß die neuen Machthaber um Gründe nicht verlegen waren
, ja gar keine rechtlich relevanten mehr brauchten, zeigt das Beispiel von
Gottfried Stader, einem SPD-Mitglied. Er wurde wegen „beleidigenden
Äußerungen" inhaftiert.128 Nachdem solcherart ein Teil der politischen
Gegner „aus dem Verkehr gezogen" war, folgte der Übergriff auf die Stadtverwaltung
. Zunächst ernannte der Minister des Innern Camill Ringwald
zum Kommissar für die Stadt.129 Der Oberbürgermeister blieb im Amt,
hatte aber de facto seine Kompetenz verloren. Die „Gesetze zur Gleichschaltung
der Länder mit dem Reich"130 beseitigten die auf demokratische
Weise gewählten Organe, den Stadtrat und den Bürgerausschuß. Nur kurz,
ohne jeglichen Kommentar, meldet der Anzeiger die „Ausschaltung" des
Stadtparlamentes, die zwei Tage zuvor, am 3. April, geschah.131 Bei der
Neubildung des Stadtrates zählte dieser statt vierzehn nur noch acht Mitglieder
, der Bürgerausschuß wurde von 72 auf 20 Mitglieder verringert. Die
Beteiligung der Kommunisten wurde nicht mehr in Betracht gezogen. Der
Stadtrat erhielt folgende Besetzung: NSDAP 5 Sitze, Zentrum 2 Sitze, SPD
1 Sitz. Auch im Bürgerausschuß waren die Nationalsozialisten in der Überzahl
. In diesem Gremium hatten sie elf Vertreter, das Zentrum vier, SPD
drei und Staatspartei und Kampffront je einen.132 Es war ein Intermezzo
mit scheindemokratischem Anstrich nur.
Noch bevor die SPD zur volks- und staatsfeindlichen Partei erklärt
wurde133, bezichtigte man das letzte Mitglied der SPD im Stadtrat, Kamill
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