http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1991/0667
Neben der Einführung des „Willensstrafrechts" war die Einschränkung der
Verteidigung Ausdruck der verschärften Strafrechtsprechung im Krieg. Es
lag im Ermessen des Gerichts, die Rechte des Verteidigers zu beschneiden
oder auf seine Bestellung ganz zu verzichten.57 Allerdings dürften bei dem
häufig anzutreffenden Verzicht auf einen Rechtsanwalt auch finanzielle
Gründe eine Rolle gespielt haben: Bei einer Frau, die im Februar 1944 zu
einem Jahr Gefängnis verurteilt worden war, beliefen sich die Kosten für
den Rechtsanwalt auf 566,80 DM. was etwa dem Lohn entsprach, den eine
Arbeiterin in einem halben Jahr verdiente.58
Zusätzlich wurden die Strafverfahren, besonders gegen Jugendliche, bei
Arbeitsniederlegungen und bei verbotenem Umgang mit Kriegsgefangenen,
seit 1940 abgekürzt — mit den Angeklagten wurde „kurzer Prozeß" gemacht
. Die Verhandlungen der Offenburger Strafkammer dürften in vielen
Fällen kaum eine halbe Stunde gedauert haben: Die zwölf Arbeiterinnen
der Firma R wurden am 11. September 1942 nacheinander in Einzelverhandlungen
abgeurteilt. Im Schnellverfahren wurden nicht nur die Verhandlungen
geführt, sondern auch die schriftlichen Urteilsbegründungen verfaßt
: abgesehen von den Personalien und den Tatumständen stimmten die
Formulierungen weitgehend überein.
Zwischen Lenkung und Ermessen: Die Urteile der Offenburger Strafkammer
Unter den 73 Urteilen des Landgerichts Offenburg, die überliefert sind, findet
sich kein einziger Freispruch. Sieben Personen wurden zu Geldstrafen
bis 100 Mark verurteilt, eine minderjährige Frau zu Jugendarrest. Gefängnisstrafen
verhängte die Kammer in 48, Zuchthausstrafen in 17 Fällen. Was
die Dauer der Haft anbelangt, so lauteten 31 Gefängnisstrafen auf bis zu
sechs Monaten, 16 auf bis zu einem Jahr und eine auf ein Jahr und zwei
Monate. Eine Frau wurde zu einer weniger als einjährigen Zuchthausstrafe
verurteilt, 15 zu ein bis zwei Jahren und eine zu drei Jahren Zuchthaus.
Damit lag die Spruchpraxis des Offenburger Landgerichts etwa im Durchschnitt
; sie zeichnete sich weder durch besondere Härte noch durch auffällige
Milde aus. Die Urteile für vergleichbare Vergehen gegen den § 4 der
Wehrkraftschutzverordnung wichen in den einzelnen Reichsteilen zunächst
erheblich voneinander ab, da nicht nur vor Amts- und Landgerichten, sondern
auch vor Sondergerichten verhandelt wurde. So verurteilte das Landgericht
Speyer im Sommer 1941 eine Frau für Geschlechtsverkehr mit
einem Franzosen zu 4 Monaten Gefängnis, während zur gleichen Zeit das
Sondergericht Leithmeritz in einem ähnlichen Fall 5 Jahre Zuchthaus verhängte
.59
Hitlers Richterschelte vor dem Reichstag am 26. April 1942 hatte eine Ausweitung
der Eingriffsmöglichkeiten der Partei in die Rechtsprechung zur
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