http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1991/0669
ob die deutsche Frau besonderen Treuebindungen unterlag (Ehemann
Frontsoldat, Tätigkeit der Frau in einem Rüstungsbetrieb usw.). Fälle des
Geschlechtsverkehrs von unerfahrenen Frauen, die unter besonderen Umständen
der Verführung oder der Überrumpelung durch Kriegsgefangene
unterlegen sind, werden mit geringeren Gefängnisstrafen belegt. Für leichtere
Fälle des gelegentlichen Entgegenkommens werden geringere Gefängnis
- oder ersatzweise Geldstrafen ausgeworfen, während Verratsbegünstigung
(Postvermittlung) nach wie vor streng bestraft wird. Die Gewährung
kleiner Belohnungen für gute Arbeit oder zur Anfeuerung des Arbeitseifers
bleibt straflos."66
In einem Bericht an den Generalstaatsanwalt in Karlsruhe bemerkte Oberstaatsanwalt
Burger im April 1942, „daß wegen derartiger Verstöße bisher
nur gegen verheiratete Frauen Zuchthausstrafen beantragt und ausgesprochen
wurden und daß gegen Elsässerinnen bisher wegen derartiger Verstöße
mildere Strafen ausgesprochen wurden, als gegen Reichsdeutsche... "67
Tatsächlich hielt die Offenburger Strafkammer diese Linie konsequent
durch.
So verurteilten die Richter unter anderem eine verheiratete Frau ,,wegen eines
Verbrechens des verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen und wegen
eines Verbrechens der Abtreibung zur Gesamtstrafe von zwei Jahren Zuchthaus
, auf welche drei Monate der Schutz- und Untersuchungshaft angerechnet
werden, zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf drei Jahre und
zu den Kosten des Verfahrens." Die Begründung lautete in der Sprache des
Gerichts folgendermaßen: ,,Die Verurteilte hat sich als deutsche Frau, Mutter
und Ehefrau eines Frontsoldaten schwer vergangen. Besonders schwer
wiegt, daß sie sich nicht nur einmal vergessen hat, sondern ein über Monate
dauerndes Liebesverhältnis mit häufigem Geschlechtsverkehr mit dem Gefangenen
unterhalten hat."68 Von den 17 Zuchthausstrafen, die die Strafkammer
verhängte, galten nur drei ledigen Frauen, obwohl deutlich mehr
als die Hälfte — 40 von 70 — aller Frauen ledig war. Und selbst das waren
Ausnahmen, weil es zur Schwangerschaft gekommen war oder weil Tateinheit
mit einer anderen Straftat, wie Betrug, nachgewiesen werden
konnte.
Andererseits wurden 12 von 28 Verheirateten und zwei von drei Witwen zu
einer mehr als einjährigen Zuchthausstrafe verurteilt. Witwen wurden als
verheiratete Frauen mit besonderen Treuepflichten gegen den NS-Staat behandelt
, besonders, wenn ihr Mann als Soldat gefallen war. Die Hauptstoßrichtung
des § 4 ging also in erster Linie gegen verheiratete Frauen, die von
den härtesten Urteilen bedroht waren, während Ledige mit größerer Nachsicht
der Richter rechnen konnten — wenn auch keineswegs mit Verständnis
. Leumundszeugnisse, die der Angeklagten einen lockeren Lebenswandel
bescheinigten, oder Familienverhältnisse und sexuelle Gewohnheiten, die
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