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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
72. Jahresband.1992
Seite: 274
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aktionen abzublasen: Die Reichsbannerführung unter Karl Höltermann und
der sozialdemokratische Parteivorstand sahen realistischerweise keine
Widerstandsmöglichkeiten ihrer auf preußische Polizei, Reichsbanner und
Gewerkschaften sich stützenden „Weimarer Front" gegenüber der weitaus
stärkeren „Papen-Front", die auf die Reichswehr, den Stahlhelm und die SA
hätte zurückgreifen können und die überdies die formale Legalität auf ihrer
Seite hatte15.

In der historischen Forschung wird dieses passive, letztlich aber den Bürgerkrieg
und die sichere Niederlage verhindernde Verhalten gebilligt16, da
Widerstand in der gegebenen Situation aussichtslos war und der moralische
Gewinn eines „kämpferischen Unterganges in Ehren" die mutmaßlichen
Folgen, nämlich den politischen Selbstmord, nicht aufgewogen hätten17.
Die Machtverhältnisse im Reich hatten sich bereits seit längerem zuungunsten
der politischen Linken verschoben, die durch die Arbeitslosigkeit
vieler ihrer Anhänger zusätzlich geschwächt war, so daß der Verzicht auf
Widerstand am 20. Juli 1932 auch seine innere Logik besitzt.

Auf der anderen Seite zeigte das kampflose Verhalten der „Weimarer
Front" sehr deutlich ihre Schwäche auf, die von Goebbels denn auch als
solche registriert und kommentiert wurde: „Man muß den Roten nur die
Zähne zeigen, dann kuschen sie", schrieb er am 20. Juli in sein Tagebuch,
und einen Tag später: „Die Roten haben ihre große Stunde verpaßt. Die
kommt nie wieder"18. Dem entsprach die Stimmung namentlich im Reichsbanner
, in dem ob der „kampflosen Kapitulation" die Kampfbereitschaft
stark erschüttert war und Unsicherheit und Resignation sich auszubreiten
begannen19. „Wo blieb der Widerstand?" schreibt Heinz Kühn, der den 20.
Juli als Jungbannerführer in Köln erlebte, in seinen Erinnerungen. „Was
war aus den großen Worten der Kundgebungen geworden? ,Reichsbanner',
,Schufo', ,Eiserne Front', ,Hammerschaften' - wir warteten ungeduldig,
wir Jungen am ungeduldigsten. Die Hundertschaften waren in Bereitschaft
gerufen, wir hofften auf das Losungswort ... Ich konnte meine Enttäuschung
erst nach Jahren überwinden, obwohl ich die Entwicklung vorausgeahnt
hatte. Noch in der Nacht vergrub ich meine Parabellum-Pistole im
elterlichen Schrebergarten. Nun war alles aus!"20

So erweist sich der Tag des „Preußenschlages" doch als ein entscheidender
Wendepunkt in der Geschichte der Weimarer Republik. Nicht nur, daß
er die Schwäche der sie tragenden politischen Kräfte offenbarte, er vermittelte
ihnen auch das Gefühl, auf verlorenem Posten zu stehen: „Der
Republik und dem Glauben an ihre innere Kraft" war „das Rückgrat gebrochen
und damit der nationalsozialistischen Machtergreifung der Weg
bereitet"21.

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