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sehe und katholische Kirche. Sie leugneten nämlich die „Gottheit Christi"
und entzögen damit „der christlichen Moral die göttliche Grundlage". Damit
hatte der Minister die Mahnung des Präsidenten bereits außer acht gelassen
, sich nicht auf die Frage der Rechtgläubigkeit einzulassen. Andererseits
war das Argument, daß die Menschen in der Religion eine moralische
Stütze fänden, auf die das staatliche Leben nicht verzichten könne, durchaus
geläufig.
Dann wurde der Minister praktisch. Die neue „Sekte" biete zum gegenwärtigen
Zeitpunkt noch nicht die Gewähr, daß der Staat sie mit der Führung
der Standesbücher betrauen könne. Er ließ aber offen, daß sich die
Deutschkatholiken eines Tages zu der Gemeinschaft entwickeln könnten,
die es rechtfertigen würde, sie als Partner des Staates anzuerkennen.
Nach Nebenius durften neun weitere Abgeordnete reden, Liberale, Konservative
und Regierungsvertreter, nur Büß mußte warten. Vielleicht hatte er
es versäumt, sich frühzeitig in die Rednerliste einzutragen. Aber langweilig
wurde es Büß nicht. Sein größter Feind unter den Vorrednern, der liberale
Abgeordnete Kapp, versuchte ihn durch absichtliche Weglassung seines
Namens zu demütigen. Es sei unter seiner Würde, dessen Namen in
den Mund zu nehmen. Das zielte unter die Gürtellinie und verletzte Büß,
der ohnehin zur Schwermut neigte; wie es manchmal zu gehen pflegt bei
Leuten, die selbst gerne austeilen.
Petitionen ohne Wirkung
Als Büß schließlich dran war, erinnerte er zuerst an die Vielzahl der Petitionen
, die es gegen eine Anerkennung der Deutschkatholiken in der letzten
Kammerperiode gehagelt hatte. Die Motion für eine Gleichstellung
hatte der ev. Pfarrer und Abgeordnete Zittel eingebracht. Büß selbst war
aber an jenem „Petitionssturm" nicht unbeteiligt gewesen. Die Liberalen
ärgerten sich, wenn Konservative sich der demokratischen Instrumente bedienten
, für deren Einführung sie ursprünglich keinen Finger gerührt hatten
. Die vielen Petitionen hatte die Regierung veranlaßt, die Kammer aufzuheben
und Neuwahlen anzusetzen. Aus formalrechtlichen Gründen erledigten
sich dadurch auch die Petitionen, die nur an eine amtierende Kammer
gerichtet werden konnten.
Bei den Neuwahlen kam es nicht zum Umschwung, den Büß erwartet hatte
. Die Liberalen behielten ihre Übermacht. Die Katholiken, die in der
Minderzahl waren, obwohl sie in der Bevölkerung eine deutliche Mehrheit
stellten, bekamen durch die Neuwahlen gerade mal einen Sitz mehr.
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