http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1996/0378
gernden Proletarier, die die Anhänger und Führungspersonen der Arbeiterbewegung
stellten, sondern im Gegenteil proletarisierte Handwerker und
Facharbeiter, die auf dem Arbeitsmarkt eine relativ stabile Position hatten
und wesentliche Impulse vermittelten. Auch in Lahr ist zumindest denkbar,
daß der Arbeiter, der über eine gewisse Sicherheit in Form von selbsterzeugten
Lebensmitteln verfügte, viel eher konfliktfähig war als der ungesicherte
reine Fabrikarbeiter, der in seiner ganzen Existenz in die Zwänge
der kapitalistischen Produktion eingespannt war. Welcher von beiden kann
einen Streik wohl eher durchhalten? Problematisch wird da schon viel
eher, daß der Grund- und Bodenbesitzer in seiner Mobilität deutlich eingeschränkt
und von daher verletzbarer ist.
Doch mag die ganze Argumentation müßig werden, wenn man sich die
tatsächlichen Verhältnisse anschaut. Nach eigenen Berechnungen, die auf
der Auswertung der Lahrer Steuerkataster beruhen, besaßen 1895 in Lahr
221 Fabrikarbeiter Haus- oder Grundbesitz. Bezogen auf etwa 1 100 in
Lahr wohnhafte männliche Fabrikarbeiter, bedeutet dies, daß etwa jeder
fünfte über diese Form von Besitz verfügte. Das mag über dem Durchschnitt
etwa im Ruhrgebiet liegeny, aber muß man dieser Zahl deshalb eine
so hohe Bedeutung beimessen?
Wenden wir uns nun nach diesen Vorüberlegungen den Lahrer Verhältnissen
zu. Fest steht zum einen, daß Lahr im 19. Jahrhundert über einen relativ
großen industriellen Bereich verfügte, dessen innere Struktur allerdings
sehr differenziert war10. Ebenso fest steht zum anderen, daß es auch in
Lahr damit fast automatisch zu neuen Formen der Auseinandersetzungen
zwischen „Unterschichten" und „Oberschichten" kam: der unvermeidliche
Konflikt zwischen Arbeit und Kapital suchte sich auch hier seine Ventile.
Dieser Aufsatz versucht zu zeigen, welche Formen sich diese Reibungen
zunächst suchten und welche Faktoren auf die Austragung der Kämpfe
einwirkten.
Für die Zeit vor 1848 sind die Nachrichten über selbständige politische
oder soziale Bewegungen der Lahrer Arbeiterschaft spärlich. Zudem sind
es bis jetzt ausschließlich indirekte Zeugnisse, die uns vage Vermutungen
erlauben. Sie zeigen zumeist das Verhalten der bürgerlichen Klasse und der
„Obrigkeit", aus denen wir - mit einem gewissen Risiko - auf das „Objekt
" der Reaktionen, die Arbeiterklasse, zurückschließen können.
Erste Ereignisse führen uns in die frühen dreißiger Jahre zurück. Zu diesem
Zeitpunkt gab es in den Lahrer Manufakturen etwa 300 bis 400 Arbeiterinnen
und Arbeiter, doch kann man von ihnen kaum als einer Klasse
sprechen. Viele Fäden verbanden sie noch mit außerindustriellen Lebens-
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