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ein recht bedenklicher und baldige Genesung nicht zu erwarten". Die
Behörde war gut unterrichtet, nur zu gut. Wilhelm Hausenstein starb, kaum
daß diese Worte geschrieben waren, am 12.11.1891 im Karlsruher Vincen-
tiushaus14.
„Ich sah im unzählbar vielen Kerzenlicht die Waagerechte des Sarges - das
Fußende zuerst; ich sah die Füllung des Sarges, schwarze Hosen, einen
schwarzen Rock; rundum dunkelgrünen Lorbeer und weiße Chrysanthemen
; ich roch Blumen, die ich nicht sah; es roch wie Gärtnerei, nur daß der
Duft einer peinlichen Entfremdung unterlag - daß er ungesetzlich anmutete
, entstellt, ja unsinnig . . . Ich suchte die gefalteten Hände des Vaters zu
erkennen und legte, den Blick entschlossen abhaltend vom Antlitz, das ich
doch witterte, die Veilchen über den Händen auf die schwarze Brust. Die
Brust war hart wie Stein. Fortgeschreckt von ihrer Härte, die mir die Finger
gerinnen machte, suchte ich jetzt dennoch Hilfe beim Gesicht. Ich sah
nach links hinauf; es waren wenige Sekunden; ich erblickte alles - den
Marmor, das Elfenbein, den leisen Knick des Nasenbeins, das mir bisher
gerade erschienen war, nicht vorgewinkelt; ich sah die purpurschwarzen
Haare; ich sah zum ersten Male die Lider geschlossen - aber ich sah auch,
daß sie nicht gänzlich herabgelassen waren, sondern zu blinzeln schienen
und halb und halb das Weiße verrieten. - Indem ich erschreckt zurücktrat,
erkannte ich durch die Barthaare noch die untere Kante der Zähne, die
bläulich schien mit einem Anflug von Rost . . . Der Onkel zog mich weg,
schlug ein Kreuz, hielt mich an sich und wischte die Augen."15
Man kann kaum ermessen, was diese Dinge für den Sohn bedeuteten: den
Vater so früh zu verlieren; ihn vorher schon so lange zu entbehren; ihn immer
nur zu erleben als einen Geschwächten, Gefährdeten, vom vorzeitigen
Tod Gezeichneten. Die melancholische, auch hypochondrische Trübung,
an der er oft litt, war durch solche Erfahrungen sicher mitbedingt16. Durch
den Tod des Vaters war der Sohn, nach eigener Erkenntnis, „traurig geworden
auf Lebenszeit"17.
Auch daß die Mutter - wie eingangs gezeigt - in seinem Leben lange an
erster Stelle stand, hatte seinen Grund nirgendwo anders als hier. „Durch
einen Schlag war ich verwandelt. Ich fühlte, daß meine Mutter sich von
jetzt ab an mir würde aufrecht erhalten müssen"18. Und daß ihm die Eltern
der Mutter, der Bärenwirt und die Bärenwirtin von Hornberg, so nahe traten
, so lieb wurden, ja daß ihm Hornberg zur wirklichen Heimat wurde: es
hätte anders nicht geschehen können19.
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