http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1996/0611
auf ihn - wie eine seiner Töchter berichtet - einige Wochen später der Anblick
der zerschlagenen jüdischen Geschäfte am Morgen nach der sogenannten
„Reichskristallnacht" vom 9. auf den 10. November 1938 gewirkt.
Bereits einige Tage vor dem 1. September 1939 erhielt Meier den Gestellungsbefehl
. Wie viele seiner Altersgenossen mußte auch er zum zweiten
Mal in den Krieg. Zunächst verlief es für ihn glimpflich. Ein Jahr nach
Kriegsausbruch im September 1940 durfte er wieder zu seiner Familie nach
Stuttgart zurückkehren und konnte wieder seiner Arbeit nachgehen. Der
Krieg täte ihnen gar nichts, notierte er lapidar im Dezember des Jahres, „alles
läuft den normalen Gang, wie auch zu anderen Zeiten; Weihnachten und
Sonnenwende zu"14. Aber der Krieg verharrte nicht an den fernen Fronten;
die Bombenangriffe auf die Städte ließen nicht auf sich warten. Nach mehreren
nächtlichen Alarmen mußte Meier mit seiner Familie im November
1942 den ersten schweren Angriff über sich ergehen lassen. Fortan war die
Angst um die nackte Existenz der ständige Begleiter.
Wenige Wochen nach diesem ersten Bombenangriff schrieb Meier in sein
Tagebuch: „Daß meine Arbeit Stille fordert, macht das Übel nur größer,
und ich werde den Wunsch nicht los, irgendwo heimatlich geborgen zu sitzen
, wo all der Lärm des Krieges nicht hinreicht und durch mein Schaffen
mitzuhelfen, daß die Welt nicht liebe- und freudelos werde."15 Meier tat
dies auf seine Weise. Wie bereits früher so war er auch während dieser
Stuttgarter Jahre im Krieg wieder mit der Gestaltung von Märchenbildern
befaßt, und daraus erwuchs eines der schönsten Bücher, das er je gemacht
hat (Abb. 10). Es war das im Jahr 1944 mitten in den schlimmsten Kriegs-
wirren im Druck erschienene, von den Gebrüdern Grimm inspirierte „Märchenbuch
für meine und andere Kinder" mit dem bezeichnenden Obertitel
„Die Besinnliche Stunde"16. Ja, auch das war es, was in Deutschland damals
nottat: Besinnung.
Ab 1. Juni 1943 mußte Meier wieder die Soldatenuniform anziehen. Aber
er hatte Glück. Er kam nicht an die Front, sondern wurde zum Zollgrenzschutz
an die Schweizer Grenze an den Hochrhein beordert. Seine militärische
Tätigkeit bestand hier praktisch nur in Wachdiensten. Die Gegend
blieb bis zum Ende des Krieges von Kämpfen mehr oder weniger verschont
. Nichts bringt die geradezu friedlich anmutende Atmosphäre, die
dort herrschte, besser zum Ausdruck als jene kleine Episode, als die
Schweizer Grenzer ihren deutschen Kollegen Ende 1944 mitten auf einer
der Rheinbrücken ein kleines Weihnachtsfest bereiteten.
So ereignete sich das Erstaunliche und Pradoxe, daß Meier gerade in dem
Moment, als Deutschland in Schutt und Asche fiel, eine der harmonisch-
611
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1996/0611