http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1997/0188
Die Chorherren haben das ikonographische Programm des Hochaltares bis
ins letzte Detail durchdacht. Diese Leistung, die auch zum Kunstwerk
gehört, ist ihnen als Auftraggeber vor allem zuzuschreiben. Näheres dazu
in meinem Beitrag im Jubiläumsbuch „800 Jahre Allerheiligen. Klöster
und Kultur im Schwarzwald"47.
In Kürze: Es handelt sich um einen Wandelaltar, der die Heilsgeschichte
als die der Menschwerdung durch Maria darlegt. Christus ist nicht nur der
erwartete Messias, er ist auch derjenige, den wir am Ende der Zeiten erwarten
. Er wird als barmherziger Richter zurückkommen (so sehen wir ihn
am Gesprenge). Wie in der Apokalypse des Johannes vorausgesagt ist,
wird die gekrönte „Frau der Apokalypse" (d. h. Maria) die höllische
Schlange mit Hilfe des Erzengels Michael zerschlagen. So sehen wir Maria
mit der zu ihren Füßen zertretenen Schlange im Schrein. Als Mutter des
Heilandes wird sie zusammen mit Johannes dem Täufer und dem Evangelisten
Johannes am Ende der Zeiten Fürsprache bei ihrem Sohn halten dürfen
. Auf den Seiten des Schreines lassen mehrere Dübellöcher vermuten,
daß Standflügel - wie am St. Wolf gang-Pacher-Altar - ursprünglich am
Hochaltar befestigt waren, vielleicht die hll. Georg (Schutzpatron der Ritter
) und Michael48.
Die Figur Johannes des Täufers war eine Reliquienstatue. Der Täufer rief
die Menschen zur Buße. Er zeigt hier das Lamm Gottes, dessen Opferung
die Heilung von den Sünden und das ewige Leben schenkt. So wies die Reliquienstatue
einerseits auf die Buße, andererseits auf die Eucharistiefeier
hin, die die alten Riten des Judentums, d. h. Beschneidung und Darstellung
im Tempel, aufhebt. Der Hochaltar zeigte die Heilsgeschichte, wie die
Prämonstratenser sie verstanden, nämlich als eine Adventszeit: die, welche
sich in der Erfüllung der Verheißung der Ankunft eines Messias in Christi
Geburt vollendet, und jene, welche zum Warten auf die Rückkehr des Heilandes
mahnt. Da gilt es sich zu bekehren. Unter der Ikone Christi hinter
dem Hochaltar pflegte man zu beichten49. Die nach Dürerschem Vorbild
perfekten Maße des Antlitzes Christi sollten auf die Vollkommenheit des
Heilandes hindeuten.
Der Hochaltar zeigt also die Heilsgeschichte als einen Sieg, dessen Sinnbild
nicht nur Christus ist, sondern auch Maria als Mutter der Kirche und
als „Frau der Apokalypse".
Die Chorherren haben für ihren Altar zwei sehr gute Künstler herbeigerufen
. Der Bildhauer ist ganz bestimmt wieder ein naher Schüler des Nikolaus
von Leyden gewesen50. Um 1492 werden die Skulpturen (Abb. 8) datiert51
, dem Todesjahr des Propstes Johannes Magistri, der deren Auftrag-
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