http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1997/0533
oft, und den Frauen wurde es unheimlich, zum SS-Stab zu gehen. An
Weihnachten 1944 fanden sie zwei Tütchen mit Plätzchen („Brötle") und
Schokolade am Schalter. Diese wurde im letzten Kriegswinter als unerhört
kostbarer Schatz empfunden und in kleinen Stückchen im Luftschutzkeller
verzehrt. Weinfässer auf einem Zug, offenbar für die Himmlermannschaft
bestimmt, zapften SS-Leute an und teilten auch dem Bahnhofspersonal davon
aus, gleich milchkannenweise.
Da die Spätschicht von 14.00 bis 24.00 Uhr ging, mußte die Angestellte
mit dem Fahrrad nach Hause fahren. Sie hatte Angst, weil es Nacht war,
nicht weil die SS die Straße unsicher gemacht hätte.
„Man sah die schwarzen Kerle in Triberg herumfahren." Sehr viele Autos
scheinen sie nicht gehabt zu haben. Ihre Stiefel reparierten sie in einer beschlagnahmten
Schusterwerkstatt selbst, wobei über zehn Mann beschäftigt
waren. Die Ausdrucksweise von SS und Wehrmacht gleichermaßen
wurde als schauderhaft empfunden. Eine Informantin, mit so viel Brutalität
konfrontiert, war entsetzt, wie sich SS-Männer vernehmen ließen. Erfuhren
sie, daß einem Soldaten ein Bein oder ein Arm amputiert werden mußte, so
hieß das in ihrem Jargon, sein „Ständer" oder sein „Flügel" wurde „abgeschossen
". Hörten sie von einem Gefallenen, so war ihre Reaktion: „Ach,
seine Frau kann wieder heiraten. Mann ist Mann ". So ließen sie sich vor
dem Personal im Lazarett „Löwen" vernehmen, so wurden die Männer, die
sie öffentlich „Helden" nannten, von der „Elite" des Reiches in Wahrheit
„geehrt". Berichtet wird auch von der unappetitlichen Angelegenheit, daß
geschlechtskranke SS-Angehörige sich in einem Lazarett ambulant weiterbehandeln
lassen mußten. Der Kommentar einer Ordensschwester war entsprechend
abfällig. Für die Wahrheit dieser Angabe spricht, daß sich
Himmler persönlich veranlaßt sah, sich um die Verhinderung der Infizierung
seiner Truppe mit dieser Krankheit zu kümmern55, weil sie sich in besorgniserregender
Weise ausbreitete.
Andererseits gab es während der Monate von Himmlers Anwesenheit in
Triberg für die Soldaten, die im Lazarett, dessen Betten mit Holzwollmatratzen
(wenigstens für den „Löwen" gilt dies) im Vergleich zu Lazaretten
anderswo recht kümmerlich ausgestattet waren, auch die Verpflegung sehr
dürftig war, behandelt, aber zu Hause wohnen durften, so viel Marketenderwaren
wie sonst nirgends. Schokolade, Zigaretten, Wein . . . wurden aus
SS-Beständen an die Soldaten verteilt. Der Wein wurde von ihnen gehortet
und in der „Lilie" bei „Feten" getrunken - aus Kaffeetassen, damit weniger
auffiel, was sie tranken. Der Alkohol tat seine Wirkung, und dies umso
mehr, als die jungen Männer ihn nicht gewöhnt waren und die ernährungsgemäße
Grundlage fehlte.
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