http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1997/0552
Verhalten der Russen und Polen nicht zu begreifen vermochten. Es war
aber auch keineswegs nur die schiere Hilflosigkeit, die aus ihren Äußerungen
sprach, sondern eine Selbstgerechtigkeit, die eine starke Prägung
durch die Ideologie der vergangenen zwölf Jahre deutlich macht - obwohl
beide der faschistischen Herrschaft distanziert bis ablehnend gegenübergestanden
hatten.
Bei dem katholischen Geistlichen ist der Rückfall in die bis vor kurzem
gültigen Feindbilder sogar noch deutlicher als beim Offenburger Bürgermeister
. Für ihn waren die Plünderer eine „Plage", die über die Einheimischen
gekommen sei, und noch im Abstand von fast zwei Jahren empfindet
er sie nicht einfach als Verbrecher, was noch verständlich wäre, sondern
als „Feinde", als ob der Krieg nicht längst beendet sei. Angesichts ihres
Verhaltens erübrigte es sich für ihn, über die Rolle der Deutschen im
Krieg nachzudenken. Indem er vage und nicht an Ursachen gebundene
Motive wie „Rachsucht" und „Habgier" für die Plünderungen benannte, erschienen
diese als Entgleisungen entfesselter Horden, die das französische
Militär nur besser hätte in Schach halten sollen. Das verstellte den Blick
auf die Motive der Entgleisungen. Bei unvoreingenommener Betrachtung
hätte er durchaus erkennen können, daß es sich um eine Antwort auf die
Zerstörung ihrer Heimat, die Ermordung von Millionen Landsleuten, die
eigene Zwangsarbeit in Deutschland und die hier gemachten Erfahrungen
mit dem nationalsozialistischen Terrorapparat - und allzu oft auch mit
deutschen Arbeitskollegen - handelte. So rechtfertigte sich für alle, die damals
der Argumentation des Geistlichen folgten, noch im Rückblick die
Behandlung, die diesen „Feinden" bereits während des Krieges zuteil geworden
war. Und in der Tat verdrängte das kollektive Gedächtnis schon
bald, daß während des Krieges Tausende von Ausländern, von denen mindestens
244 den Tod fanden, gezwungen worden waren, in ihrer Stadt zu
arbeiten. Nicht ausgelöscht ist dagegen die Erinnerung an ihre Plünderungen
nach der Befreiung6\
Auf eine angemessene Seelsorge statt auf hartes Durchgreifen der Militärpolizei
setzte dagegen der katholische Pfarrer von Mosbach in Nordbaden.
Dort lebten im Mai 1945 rund 3700 Polen in zwei Sammellagern und mehreren
großen Gebäuden, in zwei Lazaretten wurden außerdem befreite KZ-
Häftlinge gepflegt. Angesichts dieser Aufgaben bat der Geistliche seinen
Erzbischof Dr. Groeber in Freiburg dringend um Hilfe: „Die seelsorgerliche
Betreuung dieser Gruppen konnte bisher von uns zur Not durchgeführt
werden. Es sind allerdings sonn- und feiertags je 2 eigene Gottesdienste
nötig, zahlreiche Beerdigungen zu halten; in den letzten Wochen fanden
225 Trauungen statt; an die 100 Paare wollen noch getraut werden. Eine
gediegene Seelsorge (Vorbereitung der Brautleute, Beichtvorbereitung zum
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