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Ein Schwarzwälder wird Pfarrer in Amerika oder: Umwege führen auch zum Ziel
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Und was sollte, nach der Schule, aus dem Jungen werden? Er hatte
mancherlei Geschick gezeigt; ging dem Vater, der Gärtner war, zur Hand,
half beim Schreiner, Schlosser und Schuhmacher aus. Aber er wollte, der
frühen Neigung folgend, Priester werden - nur daß den Eltern das nötige
Geld fehlte und der Pfarrer ihre Bitten überhörte. Und so wurde er Bäcker.
Wie schon der Großvater war auch der Onkel ein Bäcker geworden und
konnte einen Lehrling gebrauchen; er hätte ihn nur etwas besser behandeln
sollen. Der Junge war sogar so willig, daß er an jedem Sonntagmorgen mit
dem Brotkorb in der Umgebung hausieren ging; „die sechs Kreuzer Lohn
und die große Schüssel voll Kaffee mit genügend Weißbrot",13 die er dafür
erhielt, waren wenig genug. Aber daß der Onkel ihn schlug, und auch noch
ohne Grund, war mehr als er ertragen konnte, und so packte er sein Bündel
und machte sich wieder auf den Heimweg.
Dann versuchte er sich als Ziegler, dann in der Landwirtschaft; auch die
Musik zog ihn an, die er erst als Trommler, später als Hornist ausübte. Da
kam ein Brief des älteren Bruders, der, wie so viele Ulmer, nach Amerika
ausgewandert war, nun in New York als Metzger arbeitete und die dortigen
Verhältnisse in den „rosigsten Farben"14 schilderte. Der Brief gab den Ausschlag
. Nun wurde ein Paß besorgt. „Inhaber: Robert Rath aus Ulm. Alter:
18 Jahre. Stand: Ledig. Gestalt: Schlank. Gesichtsform: Oval. Haare:
Blond. Besondere Kennzeichen: Keine. Gültig für die Reise nach Amerika.
Eigenhändige Unterschrift des Inhabers. - Damit war die erste Seite des
achtseitigen, schön ausgestatteten, und auf jeder Seite über hundertmal mit
den Worten ,Großherzogliches badisches Paßbuch' bedruckten und in
braunen Umschlag gehüllten Heftchens beschrieben. Schon aus diesem
Grund gefiel es mir sehr gut."15 Der Schreiner machte einen Koffer „aus
Brettern von Ulmhärdter Tannenholz",16 der Schlosser versah ihn mit
Schlössern und Beschlägen, und der Vater baute ein Fäßchen in ihn ein,
das er, wie es üblich war, mit Selbstgebranntem Kirschwasser füllte. „Zu
den gewöhnlichen Kleidern, die jeder in so einem Fall mitnimmt, kam in
Ulm immer noch wenigstens ein halbes Dutzend Hemden von selbstgemachter
Leinwand. Obwohl alle, von denen ich bis dahin gehört hatte, in
ihren Briefen es widerrieten, weil man sie in der neuen Heimat nicht gut
waschen könne und sie deshalb meist wegwürfe. Meine Mutter meinte, daß
man sie nicht hochschätze, sei undenkbar. So wurde mein Koffer mit einem
ganzen Dutzend davon beschwert."17 Auf das Reisegeld, das der Bruder
schicken wollte, wartete man freilich vergebens; so mußte man es anderswo
beschaffen, denn Raths Reisegefährten, zwei an der Zahl, drängten
zum Aufbruch.
Der Abschied fiel schwer. Es wurden Reden gehalten, Hände gedrückt,
Tränen vergossen. Rath sagte das bekannte Gedicht von Samuel Friedrich
Sauter auf, dessen zweite Strophe heißt:
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