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Heinz G. Huber
Durch den Besuch des russischen Zaren mit seinem Hofstaat im Jahr 1871
hatte Peterstal europäische Berühmtheit erlangt.71 Ein internationales Publikum
, Aristokraten, Großbürger und Industrielle, verkehrte hier. Die
Bahn erleichterte die Anreise, denn die Anfahrt mit der Postkutsche von
Appenweier bis Griesbach hatte bislang mehr als vier Stunden gedauert. In
den 80er Jahren ging jedoch in den klassischen Kurbädern die Besucherfrequenz
zurück. Medizinische Badekuren kamen außer Mode, die Preise
waren sehr hoch. Denn die großen Etablissements verursachten hohe Betriebskosten
, die Saison dauerte nur acht Wochen.72 Die mondäne Gesellschaft
bevorzugte andere Kurorte wie Baden-Baden, Wildbad oder Karlsbad
. Nach 1890 nahm die Zahl der Badegäste wieder zu,73 freilich kamen
jetzt die Kurgäste aus dem mittleren und gehobenen Bürgertum.
Uneingeschränkt förderte die Eisenbahn eine Form des Tourismus, die
im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts eine immer größere Rolle spielte,
die Sommerfrische. Der Anspruch der Beamten und Angestellten auf
bezahlte Urlaubstage ermöglichte ihnen einen mehrtätigen Aufenthalt an
einem Ferienort, wobei besonders Gebirgslandschaften wegen des angenehmen
Sommerklimas favorisiert wurden. Gegenüber den Gastgebern
herrschte ein familiäres Verhältnis, der Gast ließ sich seinen vermeintlich
höheren Sozialstatus bestätigen.74 Der Bahnbau brachte eine spürbare
Belebung für die „Luftkurorte". Im Bezirksamtbericht von 1878 heißt es:
„Im vergangenen Jahr waren Lautenbach und Ringelbach stark besucht,
auch die ,Taube' in Oppenau, der ,Finken' in Ibach und der ,Pflug' in
Löcherberg hatten eine Reihe von Luftkurgästen."75 Im Jahr darauf werden
schon 11 Hotels und Gasthäuser aufgeführt, die von Übernachtungsgästen
profitierten, dazu kam noch die private Zimmervermietung. Besonderer
Beliebtheit erfreute sich Allerheiligen, dort entstanden 1871 ein dreistöckiges
„Kurhaus", 1878 das Wasserfallhotel und 1887 ein Gästehaus. Ein
Blick in die Gästebücher zeigt, daß hier ein internationales Publikum verkehrte
: Holländer, Dänen, Engländer waren hier zu Gast, Aristokraten,
Professoren, Beamte, Geschäftsleute trugen sich ein, aber auch Heidelberger
und Straßburger Studenten kamen hierher.76 Die Renchtalorte versuchten
durch Schaffung einer touristischen Infrastruktur, die Anlegung von
Wegen, Alleen, Parkanlagen, den Bau von Aussichtstürmen und die Aufstellung
von Ruhebänken ihre Attraktivität zu erhöhen. Der Tourismus
wurde als zukunftsträchtiger Wirtschaftsfaktor erkannt: „Die großen Summen
, die alljährlich von Fremden bei uns verzehrt werden, tragen dazu bei,
die schlechten Zeiten weniger fühlbar zu machen", schrieb 1882 das Ober-
kircher Bezirksamt.77
Schließlich brachte die Bahn besonders während der Sommersaison an
den Wochenenden zahlreiche Tagesausflügler ins Tal. Das aufblühende
bürgerliche Vereinswesen begünstigte diese Entwicklung, denn Ausflüge
waren wesentlicher Bestandteil der Geselligkeit. So nutzte als einer der er-
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