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Horst Brombacher
Neben der feindlichen Einwirkung hatte die Truppe noch sehr stark unter
der bitteren Kälte in den Monaten Dezember 1942 und Januar 1943 zu
leiden. Der Gesundheitszustand ging infolgedessen rapid zurück. Erfrierungen
waren an der Tagesordnung. Es waren nur wenige der gesamten
305. Inf.Division, die die Kämpfe um Stalingrad lebend überstanden haben
. Am 2. Februar 1943 war der letzte Kampftag um Stalingrad. In erschöpftem
Zustand, oft mit großen Erfrierungen gingen die Überlebenden
in Gefangenschaft.
Nach Ansicht von Kameraden, die sich später in den Gefangenenlagern
wieder trafen, dürften höchstens 140 bis 150 Mann aus der 305. Inf. Division
den Weg in die Gefangenschaft angetreten haben. Der Marsch in die
Gefangenschaft war äußerst beschwerlich; schwere Schneestürme, Kälte
bis zu 30 Grad, Märsche bei Tag und Nacht ohne Nachtruhe und ohne Verpflegung
dauerten 5 bis 6 Tage. Die Wegränder waren mit toten Kameraden
, die vor Erschöpfung liegenblieben, gekennzeichnet. An manchen Tagen
mußten die Gefangenen sogar ohne Begleitschutz marschieren, weil
selbst für die Russen die Strapazen zu groß waren. Es ist deshalb klar zu
erkennen, daß Kameraden, die von den Kampfhandlungen her schon sehr
stark geschwächt waren, solchen Anstrengungen erlagen. Mancher Kamerad
wurde sogar geistesgestört durch die übermenschlichen Entbehrungen
und Strapazen.
Auch während der Kampfhandlungen war ein größerer Teil der Zivilbevölkerung
in Stalingrad anwesend (nicht evakuiert) und hauste in Erdhöhlen
. Nach Beendigung der Kampfhandlungen fiel die Zivilbevölkerung
wie Hyänen über uns her und nahm uns das letzte wertvolle Kleidungsstück
, Ehering, Uhr usw. ab. Als wir auf dem Weg in die Gefangenschaft
an dem Friedhof der 305. Inf. Division in dem Vorort Goroditsche vorbeikamen
, waren die 5 bis 6000 Holzkreuze restlos verschwunden. Die Ruhestätte
der Toten war als Friedhof nicht mehr zu erkennen.
Die Lazarette in Stalingrad waren vom Dezember 1942 an dermaßen
überfüllt, daß neu anfallende Verwundete bei der Truppe in Erdlöchern
oder Kellern aufgenommen werden mußten. Es ist kaum anzunehmen, daß
Verwundete, die in Stalingrad zurückbleiben mußten, lebend davon kamen.
Ich weiß aus persönlicher Erfahrung, daß von den vielen Kameraden,
die wir verwundet in Stalingrad zurücklassen mußten, nicht ein einziger
geschrieben hat oder gar zurückgekommen ist.
In dem Keller, in dem ich mit meiner Einheit damals hauste, mußten wir
25 Verwundete zurücklassen. Ich stehe mit den Angehörigen aller dieser
Kameraden in Verbindung; doch von keiner Seite wurde mir ein Lebenszeichen
dieser Kameraden bestätigt, so daß mit 99%iger Sicherheit anzunehmen
ist, daß keiner dieser Kameraden noch am Leben ist.
Es besteht nun die Möglichkeit, daß H. gefallen ist, denn in den letzten
Tagen waren alle Soldaten als Infantristen eingesetzt und stets in größter
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