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150 Jahre Friedenskirche Kehl
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war, bestritt die Baupflicht des Staates. Nachdem sie sich aktenkundig gemacht
hatte, war sie im August 1832 überzeugt, dass es sich bei den Kirchen
in der Festung nicht um Pfarrkirchen, sondern um Garnisonskirchen
gehandelt habe und deshalb in keinem Fall eine Baupflicht des Staates bestehe
. Eine katholische Garnisonskirche war in der Festung - nicht in der
Stadt - Kehl vorhanden, und eine evangelische Garnisonskirche war seit
1774 in einer Kaserne, also auch in der Festung, nicht in der Stadt, eingerichtet
. Die Festung war Eigentum des Deutschen Reiches und badisches
Mannlehen. Das Reich hatte die Festung zu unterhalten und auszustatten.
Auch als Erwerber des ehemaligen Reichslehen Kehl konnte der (badische
) Staat eine solche Verpflichtung nicht haben und es ist demnach kein
Titel aus privatrechtlichem Grund für befragte Baupflicht denkbar. Das
Domänenamt erbrachte auch den Nachweis, dass der größte Anteil der
Brandentschädigung von 78.500 fl. für die herrschaftlichen Gebäude in der
Festung bisher als Entschädigung für zerstörte und niedergerissene Privathäuser
(30.000 fl.) und für öffentliche Bauten dort (26.700 fl.) verwendet
wurde wie für die Errichtung der Zoll- und Wachthäuser, der Interimskirche
, der Kaserne mit Kommandantenwohnung und von zwei Schulhäusern.
Das Amt schloss seine Untersuchung mit dem Ergebnis: Beide geistlichen
Konfessionen der Stadtgemeinde Kehl haben somit weder auf eine gemeinschaftliche
noch auf zwei gesonderte, vom Staat zu erbauende Kirchen ein
anderes als das Recht, welches ihr Bedürfnis und ihre Mittellosigkeit begründen
, das Recht der Bitte?1
Als im Oktober 1832 das Finanzministerium versuchte, die Baupflicht
auf die Stadt Kehl abzuschieben, erhob die Gemeinde mit einer motivierten
Erklärung über ihre finanzielle Situation erfolgreich Einspruch: Wollte
man die Baupflicht auf die Gemeinde abwälzen, so würde sie nie aus ihrem
Notstand herauskommen. Mit äußerster Anstrengung bringt sie kaum die
Mittel auf zur Bestreitung der gewöhnlichen Gemeindeausgaben. Die Anzahl
der Armen vergrößert sich mit jedem Tag, indem vorlängst ihr mancher
Einwohner aufgezwungen wurde, den man anderswo abgewiesen hatte
. Brücken, Stege und Kirchen wurden da und dort aus den hiesigen Festungssteinen
aufgeführt, und uns bleibt kein Stein übrig, das erste und notwendigste
Gebäude einer Gemeinde zu erbauen. Es lag der hohen Regierung
immer daran, daß Kehl wieder in Aufnahme komme. Sie kann es also
auch nicht an Mitteln fehlen lassen, um dieses Emporkommen zu befördern
und die geistige Existenz der Einwohner zu sichern?9.
Aus einem Gutachten, das das Staatsministerium im selben Jahr in Auftrag
gegeben hatte, ging hervor, daß die Ansprüche der beiden Konfessionen
an den Fiskus nicht ganz gleich sind. Die Baupflicht des Staates für eine
katholische Kirche war nach Ansicht des Gutachters überzeugend begründet
, der Anspruch der evangelischen Kirche jedoch weniger. Die eigene
Kirche der Katholiken in der ehemaligen Festung wurde höher bewertet
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