http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2002/0201
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Der „Kehler Altar"
Angelika Stüwe
Vom 29.9.2001 bis zum 3.2.2002 fand in der Staatlichen Kunsthalle und
dem Badischen Landesmuseum in Karlsruhe die Große Landesausstellung
Baden-Württemberg „Spätmittelalter am Oberrhein" statt. Im Rahmen dieser
Ausstellung wurden in der Staatlichen Kunsthalle auch zwei spätgotische
Altarflügel gezeigt, „Die Geburt Christi" und „Die Anbetung der Heiligen
Drei Könige", die ab Mitte des 19. Jahrhunderts im Chor der Kehler
Simultankirche (der späteren Friedenskirche) angebracht waren.
„Die Geburt Christi"
Auf der Vorder- oder Festtagsseite1 der Tafel nimmt die Heilige Familie
etwa zwei Drittel des Bildes ein. Im Hintergrund wird die Verkündigung an
die Hirten dargestellt.
Der Blick des Betrachters fällt zunächst auf die junge Mutter Maria:
Sanft lächelt sie ihrem Kind zu, das auf einem Zipfel ihres Mantels gebettet
liegt. Für diesen Mantel der „Himmelskönigin" war nach der geltenden
mittelalterlich-christlichen Farbensymbolik und Ikonographie die Farbe
Blau vorgeschrieben. Die Jungfräulichkeit der Gottesmutter preisen die
Verse am Saum ihres Gewandes, „die sich beim näheren Betrachten des
Originals als Anrufungen in lateinischer Sprache aus der Lauretanischen
Litanei2 erweisen, z. B. Stern des Meeres, Pforte des Himmels"? Der goldgrundige
Himmel, dessen Farbton sich in den Heiligenscheinen und den
Gewändern der Engel wiederholt als „Zeichen heiligen und himmlischen
Lichtes",4 die ehrfürchtigen Hirten und der lobpreisende Engel im Hintergrund
„Gloria in excelsis deo" („Ehre sei Gott in der Höhe") sowie der
segnende und andächtige Engel im Vordergrund harmonieren mit der feierlichen
Stimmung. Diese himmlische Sphäre ist eingebettet in eine reale
Umwelt: Im Hintergrund weiden Schafe auf einer Alm. Der Esel schaut
neugierig zum Christkind hin. Der Ochse glotzt ins Leere. Der weiß gekleidete
Engel im Vordergrund hat sich (vielleicht durch ein Geräusch?)
ablenken lassen und vom Kind abgewandt. Josephs Gewänder sind in den
„irdischen Farben Rot und Grün"5 gehalten. Er trägt eine Laterne und einen
Wanderstab, der ihm auf dem Weg nach Bethlehem von Nutzen war.
Seine Mütze mit ringsum aufgerichteter Krempe mag an eine Alltagstracht
erinnern, und seine Erdverbundenheit äußert sich auch darin, dass ihm der
Heiligenschein fehlt: Er ist noch kein vollwertiges Mitglied der Heiligen
Familie (Das sollte er erst in der Malerei der italienischen Renaissance
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