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Faszinosum, Filou und Forschungsobjekt: Das erstaunliche Lehen des Hellsehers Ludwig Kahn 433
Karriereschritt noch keine zwanzig - wurde Ludwig Kahn mit beträchtlichen
Honoraren überhäuft.
Laut eigenen Aussagen erkrankte er 1893 an Malaria und kehrte daraufhin
für einige Monate zur Erholung in seine Heimatstadt zurück. Als am
10. November 1894 sein Vater starb, trug ihm die Mutter an, in das elterliche
Geschäft einzusteigen. Doch Ludwig Kahn entschied sich anders und
verließ Offenburg im selben Jahr wieder. Eine Karriere als überall gefragter
Hellseher erschien ihm offensichtlich weitaus lukrativer und aufregender
zu sein als die Arbeit im elterlichen Geschäft in der südbadischen Provinz
. Er konnte sich „in die engen Verhältnisse nicht mehr schicken"." Erneut
reiste Kahn nach Amerika und verschwand damit aus dem Blickfeld
der deutschen Behörden. Als man in Offenburg das Erbe seines verstorbenen
Vaters aufteilte, wurde er als „unbekannt in Amerika" gemeldet, so
dass sein Cousin und Schwager, der Zigarrenfabrikant Adolf Kahn (1853-
1928), als sog. „Abwesenheitspfleger" eingesetzt werden musste. Ohnehin
wird die Summe von 1230,65 Reichsmark, die Ludwig Kahn als Erbschaft
zugesprochen wurde, ihn auf dem Hintergrund seiner früheren Einkommensverhältnisse
nicht sonderlich beeindruckt haben.12
Kahn reiste auf die britischen Inseln, nach England, Irland und Schottland
. Seit Juli 1895 war er in London, Rupert Street, als „Ludwig Kane"
gemeldet.13 Die englische Hauptstadt blieb fortan sein Wohnsitz. In diesen
Jahren um die Jahrhundertwende hatte Kahn seine größten Erfolge als
„Gedankenleser" zu verzeichnen. Er selbst berichtet später darüber: „Ich
verdiente in diesen letzten ca. 15 Jahren jährlich 150-200.000 Mk. Ich erhielt
für die einzelnen Seancen nicht unter 1000 M., häufiger aber, z.B.
vom Londoner Rothschilds [sie!], vom Herzog Devonshire, Prinz von Wales
, unter anderem 10.000 Mk. für eine Vorstellung. Mein höchstes Honorar
war 100.000 Mk., die ich von Ricardo Seaver in London für 1 Sitzung
erhielt." Kahn behauptete, er hätte „durch blosses Anschauen und Konzentrieren
" den jeweiligen Sitzungsteilnehmern „Angelegenheiten [...] in Vergangenheit
, Gegenwart und Zukunft" schildern können. Dabei habe er sich
„in einem Zustand grösster Konzentration" befunden, „dadurch derartig
allem anderen entrückt". Kahn beteuerte, er habe bei den Sitzungen „unter
einem gewissen inneren Trieb" agiert und sich in einem Zustand befunden,
der nicht normal gewesen sei. Kahn wollte sich also hellseherische und
präkognitive Fähigkeiten zusprechen, darüber hinaus die Fähigkeit zur
Telepathie und des ,,Gedankenerraten[s]".14 Sein Publikum jedenfalls ließ
sich diese Vorstellungen viel kosten: Ludwig Kahn ertrank in diesen Jahren
fast im Geld. Sein Vermögen konnte er allerdings zu keiner Zeit zusammenhalten
, dieses habe er ein ums andere Mal „durch Spiel und Weiber
verloren".15
1907 zog Kahn von London nach Paris um, weil er „das Londoner Klima
nicht mehr ertrug". Dort lernte er im selben Jahr die vermögende Anna
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