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Erasmus von Rotterdam (wahrscheinlich 1469 bis 1536) am Oberrhein
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Aber das eigentliche Zentrum seiner Tätigkeit war Basel. Dort gab der
Verleger Froben seine zahlreichen Werke heraus, dafür arbeitete ein ganzer
Stab junger Gelehrter begeistert mit, allen voran der Elsässer Beatus Rhenanus
, des Meisters alter ego, sein anderes Ich, der dessen schlechte Laune
und beißende Ironie ertrug. Die inclyta civitas basiliensis, der weit berühmte
Stadtstaat Basel, war der Ort, wo er sich wirklich zu Hause und
sich immer wieder hingezogen fühlte. Unermüdlich schrieb er seinen zahlreichen
Briefpartnern; in diesen Briefen kann der heutige Leser viel über
die Hoffnungen, Sorgen und Enttäuschungen des Humanisten erfahren.
Etwa zehn Jahre dauerte diese goldene Zeit. Die Tragweite des Lutherischen
Aufrufs zum Kampf gegen Rom war nicht sofort abzuschätzen. War
dieser Martin nur ein Mönchlein, Professor an einer entlegenen Universität
? Als der Brand um sich griff und dieser Doktor von Wittenberg die
populärste Gestalt im Reich geworden war, erst da ermaß Erasmus den Abstand
, den seine eigenen Ansichten von denjenigen Luthers trennte. Nun
kam es zum schriftlichen Kampf. Aber nicht nur die Anhänger Luthers wie
Hutten rechneten mit Erasmus ab und beschimpften ihn, auch die konservativen
Theologen in Paris und Löwen griffen ihn an. Zwar hatte der Papst
Hadrian VI. viel für ihn übrig, aber dieser regierte nur kurze Zeit. Dass ihm
Clemens VII. den Kardinalshut anbot, tröstete ihn nicht - dieses Angebot
lehnte er 1525 ab. Als seine liebe Stadt Basel 1529 protestantisch wurde,
zog er nach Freiburg. Verbittert und reizbar geriet er dort in eine Art Verfolgungswahn
. Schließlich hielt er es fern von Basel nicht mehr aus und
kehrte zurück, starb aber einige Monate später in der Nacht zum 12. Juli
1536. Trotz der Angriffe, die er nach 1524 erdulden musste, war aber seine
Autorität nicht zusammengeschmolzen. In Vergessenheit geriet er nie, jedenfalls
nicht im Reich der Gelehrten.
Seine großartige Karriere verdankte er vor allem seiner erstaunlichen
Begabung. Bezeichnend ist, dass ihn Holbein beim Schreiben darstellte.
Seine Schriften sind elegant, klar und scharf; ironisch ist er oft, geistreich
immer, pedantisch nie. Freundschaften gewann er in großer Zahl. Doch
zwei Faktoren seines Erfolges hingen nicht von seiner Persönlichkeit ab:
Hätte es den Buchdruck nicht gegeben, wäre der Kreis seiner Bewunderer
eng geblieben; aber hätten die Buchdrucker keine Leserschaft gehabt, wären
deren Unternehmen kurzlebig gewesen. In diesem Spätmittelalter hatte
sich die gebildete Schicht der Bevölkerung ständig vergrößert, und dieses
gesellschaftliche Milieu erwartete gerade das, was ihr zu bieten Erasmus in
der Lage war. Weil es eine res publica litteraria gab, konnte Erasmus deren
Fürst werden.
Nach dieser Darlegung der Laufbahn des Erasmus soll nun versucht
werden, in das Innere des Menschen Erasmus einzudringen. Wie konnte er
sich aus seiner bescheidenen Lage herausarbeiten und so hoch aufsteigen?
Was war die Antriebskraft, die ihm dazu verhalf?
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