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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
84. Jahresband.2004
Seite: 137
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„Die Zeit ist der beste Richter". Von Sibirien in die Ottenau

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sierte den Türsteher, er wurde angehalten und musste seinen Ausweis zeigen
, danach wurde er abgewiesen. Die Freundin drin, er draußen. Was in
dem Kopf des jungen Mannes vorgeht, kann ich mir ungefähr vorstellen.
Was in dem Kopf der jungen Frau vorgeht, weiß ich nicht, wird sie um ihre
Freundschaft kämpfen oder zerbricht die Freundschaft? Ich spreche an dieser
Stelle nicht von abstrakten Personen, denn ich kenne diese Familie aus
Russland. Und das sind nicht Einzelfälle, wo sie abgewiesen werden. Ich
will unsere Jugend nicht nur loben, es gibt auch schwarze Schafe darunter,
vielleicht sogar mehr als man sich vorstellen kann, aber heute kommen sie
aus allen letzten Winkeln des Riesenreichs Russlands und Mittelasiens, wo
sie unter verschiedenen Völkern aufgewachsen und mit allen Wassern gewaschen
sind. Wenn sie hier abgewiesen werden, nicht nur in den Diskotheken
, auch in den Schulen schon, wenn ihnen Gewalt entgegenkommt -
dann antworten sie mit Gewalt, sie gruppieren sich und dann kommt es
auch zu schlimmen Auseinandersetzungen. Damit sie weniger verspottet
und abgewiesen werden, organisieren sie ihre eigenen Diskotheken, wo sie
unter sich bleiben. Leider kommt es auch dort manches Mal zu Auseinandersetzungen
- das ist die Welt, die sie mitgebracht haben, und diese, in
der sie aufgewachsen sind, hat sie so gemacht. An dieser Stelle eine Frage:
Geht es unter den Einheimischen immer friedlich ab?????

Wie die russischsprachige Zeitung „Europa-Express" schreibt: Gucken
wir uns unsere Jugendlichen nicht durch die kalten Brillengläser der westlichen
Zivilisation an, sondern durch das Prisma vergangener Zeit. Die Zeit
ist der beste Richter. Die Omas und Opas dieser jugendlichen Russlanddeutschen
waren von Stalin „festgenagelt" in den Verbannungsorten, das
einzige „Privileg", das sie kannten, war Zwangsarbeit in der Taiga, Kohlengruben
, die großen Baustellen des Kommunismus, die Ackerfelder und
Viehställe in den Kolchosen. Arbeit von früh bis spät ohne Durchblick.
Aber das Leben ging weiter, es kamen Kinder zur Welt - die Eltern der
heutigen Jugendlichen. Sich selbst überlassen, wuchsen diese Kinder heran
. Sie gruppierten sich und stolperten auf den Müllkippen herum, um etwas
Essbares zu finden, sie machten „Überfälle" auf die Maisfelder usw.
Der Hunger verfolgte sie Tag und Nacht. Spärliches Essen gemischt mit
Muttertränen. Kinder starben vor Hunger und Krankheiten, wer überlebte
und kaum erwachsen wurde, wurde eingejocht, um den Eltern zu helfen.
Junge Mädels wurden in den Kolchosen Melkerinnen zu einer Zeit, wo Vaku-
ummelkung noch ein Fremdwort war, dort sind sie vorzeitig alt geworden.
Viele heutige Jugendliche und auch ältere Menschen haben keine vollwertige
Kindheit gehabt. Sie wuchsen in entfernten Provinzen auf, wo
Schimpfwörter, Alkoholkonsum und Prügelei zum Alltag gehörten. Wie
ein Schwamm saugten die Kinder das in sich hinein, ohne zu verstehen,
wie schlimm das ist. Jetzt sind sie hier im Westen, hier gibt es vieles im
Überfluss, nur zu wenig Arbeitsplätze und Lehrstellen. Und wer kann dem


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