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Zwangsarbeit auf dem Land im „Dritten Reich"
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Für die Unterbringung von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern gab
es in den Orten der südlichen Ortenau unterschiedlichste Varianten. Die
Standorte und Beschaffenheit dieser provisorisch eingerichteten Gefangenenlager
sind bislang erst in wenigen Fällen bekannt. In Berghaupten war
es eine Turnhalle, in Oberwolfach und Zell am Harmersbach waren es Barackenlager
, in der Riedgemeinde Dundenheim sowie in Ortenberg und in
Schweighausen Gasthäuser, in denen die Gefangenen unter stetiger Bewachung
festgehalten wurden.48 In Kippenheim wurde hingegen ein Gebäude
verwendet, das zuvor im Besitz der jüdischen Gemeinde des Ortes gewesen
war, nämlich das unmittelbar hinter der Synagoge gelegene vormalige
Wohnhaus des jüdischen Kantors.49 Die Kippenheimer Gemeindeverwaltung
forderte Anfang Juli 1940 vom zuständigen Arbeitsamt in Offenburg
zuerst 40, später dann noch einmal 30 ausländische Arbeitskräfte an. Ende
Juli 1940 wurde das Kriegsgefangenen-Kommando 6072 in den Ort verlegt
, das aus Franzosen bestand. Die Bestimmungen des Arbeitsamts besagten
, dass die Franzosen nicht mit den „Ostarbeitern" untergebracht werden
durften, von denen ebenfalls eine gewisse Zahl in Kippenheim arbeitete
.50 Als Unterkunft für den Trupp nahm die Gemeindeverwaltung deshalb
das inzwischen leer stehende Haus des Kantors der jüdischen Gemeinde in
Beschlag. Kantor Schwab war bald nach seiner Rückkehr aus der Internierung
im KZ Dachau auf die britischen Inseln emigriert. Sein Wohnhaus
hatte man daraufhin, im Mai 1940, an einen Kippenheimer Privatmann veräußert
. Diesem wurde allerdings keinerlei Mitspracherecht eingeräumt, als
die Gemeindeverwaltung das Gebäude als Gefangenenunterkunft an sich
nahm. Um die Erfordernisse für ein Gefangenenlager zu erfüllen, wurden
die Fenster des Hauses von örtlichen Handwerkern mit Gittern versehen.
Die Zwangsarbeiter mussten in Kippenheim sowohl für die Gemeinde als
auch für Privatleute in der Landwirtschaft arbeiten. Eine Abteilung wurde
von der Gemeindeleitung zu Entwässerungsarbeiten sowie zu Waldarbeiten
herangezogen. Die Zahl der Gefangenen stieg auf etwa 75 Personen im
Jahr 1942 an, danach lebten französische Kriegsgefangene bis zu ihrer Befreiung
im April 1945 in Kippenheim.
Problematisch erwies sich später, dass man den im früheren Kantorenhaus
festgehaltenen Kriegsgefangenen im Nachhinein implizit die alleinige
Verantwortung für die Ausplünderung der Kippenheimer Synagoge in den
Kriegsjahren zuschrieb. Urheber dieser These war der damalige Kippenheimer
Bürgermeister Fritschmann, der 1951 auf eine Anfrage aus den
USA rückmeldete, die früheren französischen Kriegsgefangenen „hätten
die in der Synagoge befindlichen Böden und das Gebälk herausgerissen
und verheizt."51 In Wahrheit waren aber mehrere Gruppen und Einzelpersonen
während und nach dem Novemberpogrom an der Ausplünderung
und fortschreitenden Zerstörung der Synagoge beteiligt, nicht zuletzt die
nationalsozialistische Kippenheimer Gemeindeleitung. Mit seiner durchaus
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