http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2004/0327
Der Rüster „Musikbaron"
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im Elsass] so viele Kenner, und Liebhaber der Tonkunst gäbe. -
Doch, wo eine Residenz eines großen Herrns, da sucht meistens sich
alles auszubilden, und seine Talente zu zeigen. - So sollte es aber in
gewissem Maaße jedoch allerorten seyn: - wiewohl bey großem
Licht auch starker Schatten. "39
Musik in der Oberrheingegend zwischen Freiburg und Straßburg
Mit diesem Zitat bin ich nun bei der Frage angelangt, was der Musikbaron
über die Musikpraxis im Elsass, im Breisgau und in der Ortenau weiß. Ich
könnte es mir nun einfach machen und kurzerhand die entsprechenden Passagen
aus seinen „Beyträgen ..." vorlesen. Doch abgesehen davon, dass
dies viel zu lange dauerte, habe ich meine Zweifel, ob Ihnen mit des Musikbarons
seitenlangem „name dropping" und dem 200 Jahre alten Gesellschaftsklatsch
gedient wäre. Aber eine Zusammenfassung seiner Angaben,
angereichert mit dem einen oder anderen Zitat, sei zumindest versucht.
Auf die Musikalität der Menschen, gleich ob Bauern, Bürger oder Adelige
, in unserer Region hält der Musikbaron recht große Stücke: „Von
Breisgau und der Ortenau wird überhaupt beobachtet, daß solche Nationen
zur Musik vielleicht mehr, als gar viele andere aufgelegt seyen. Kaum
wird ein Dorf in diesen Ländern angetroffen, wo nicht ein paar Musikanten
zum wenigsten wohnen, und Musikalien zu finden. Ueberall fast ist Anlage
und Lust zur Musik zu erblicken. - In allen Ständen der breisgauischen
und ortenauischen Gegenden giebts ein, oder das andere unvergleichliche
Talent, — auch selbst Virtuosen. "40
Nach diesem allgemeinen Lob und einer Erklärung dafür, warum es
trotz dieser auffälligen Musikalität so wenige wirklich große Musiker in
der Gegend gibt - Hauptursache ist in seinen Augen die Kleinstaaterei -
kommt Böcklin auf Einzelheiten zu sprechen. Zunächst freilich setzt er
noch einen kleinen Seitenhieb auf die zeitgenössischen liturgischen Entwicklungen
: „In den katholischen Ortschaften von Ortenau und Breisgau
ist die Musik besser, als in den protestantischen. Sie scheint aber, seitdem
da das Choralgesang in mehresten katholischen Kirchen Platz gewonnen
hat, abnehmen zu wollen. "41 Anders ausgedrückt: Der damals im Zuge der
„katholischen Aufklärung" auch bei den Katholiken aktuelle Trend, im
Gottesdienst den „allgemeinen Volksgesang" einzuführen - der bei den
Protestanten schon lange verbreitet war - wird, so befürchtet Böcklin, der
Musik insgesamt schaden. Oder will er einfach nur ein paar antiprotestantische
Ressentiments anbringen? Immerhin war er einige Jahre zuvor mit
fast seiner ganzen Familie zur katholischen Kirche konvertiert, nur der älteste
Sohn war evangelisch geblieben - also ausgerechnet jener, der letztlich
für den Fortbestand der Familie sorgte.
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