http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2004/0376
376
Johannes Werner
Es glückte alles. Um 2 Uhr hatten wir das nächste Dorf erreicht, und ich
war somit im Gebiet, wo ich ungehindert weiter konnte. Der Kaplan besorgte
mir noch ein Auto, ehe wir uns trennten. Auf manchem Umweg,
welche Richtung eben gerade das Auto hatte, auf dem ich mitfuhr, kam ich
am 15.9. nach Eppelheim, wo meine Karlsruher Oberin jetzt stationiert
war. Hier feierte ich wieder Einkleidung. Ich konnte mit reinem Gewissen
mein Ordenskleid wieder anziehen. 2 Tage später konnte ich mich den
Obern in Bühl vorstellen. Ein Soldat, der mit mir an der Grenze gewartet
hatte, kam 8 Tage vor mir hinüber; er hatte mich schon im Provinzhaus angemeldet
. Im neuen Vinzentiushaus in Karlsruhe war eine Schwester, deren
Heimat in der Gegend war, wo ich damals festlag. Ihre Oberin fuhr nun
gleich mit ihr weg, um mich über die Grenze zu holen. Sie kamen um einen
Tag zu spät nach Wolfmannshausen.
Bald durfte ich in die Heimat, um die Eltern zu begrüßen." Der Ortspfarrer
stellte mich dem französischen Kommandanten vor. Zwei Tage später
kam dieser selbst ins Elternhaus und forderte mich auf, der Nichte von
de Gaulle, die ich im Lager gepflegt hatte,12 einen Brief zu schreiben; er
werde ihn weiterbesorgen. Da er hörte, dass einer meiner Brüder noch in
französischer Gefangenschaft sei, hieß er uns ein Gesuch machen um seine
baldige Freilassung und gab genau den Weg an, der einzuschlagen sei -
dies Gesuch gehe sicher durch.
Bemerkungen über den Bericht
So also lautet der Bericht der Schwester Felixina, den sie, auf ausdrücklichen
Wunsch des Erzbischöflichen Ordinariats, am 6. Oktober 1945 im
Mutterhaus in Bühl niederschrieb oder niederschreiben ließ. Es ist, in
Wortlaut und Satzbau, unverkennbar ihr eigener Bericht - ein Bericht, den
der damalige Spiritual, Wilhelm Freischlag, dann aber überarbeitet, d. h.
geordnet und geglättet, überformt und überhöht hat. In seiner Fassung und
unter seinem Namen, wurde er dann vor allem den Mitschwestern bekannt
gemacht;13 in der früheren, echteren erscheint er, wie gesagt, hier zum ersten
Mal, mit allen seinen Brüchen und Schwächen. Korrigiert wurden nur
Orthographie und Interpunktion, und auch sie nur an wenigen Stellen.
Mehr als auf die Form dieses Berichts, die freilich ein untrügliches Anzeichen
seiner Authentizität ist, kommt es hier auf seinen Inhalt an. Zwar
wird das, was er sagt, von vielen anderen, ähnlichen bestätigt; doch umgekehrt
bestätigt er wieder sie. Und es wird - auch wenn es sich eigentlich
verbietet, Vergleiche anzustellen - deutlich, dass unter allen entsetzlichen
Orten im damaligen Deutschland das Revier in Ravensbrück einer der entsetzlichsten
war; ein Ort, an dem gesunde Menschen krank gemacht, und
an dem kranke nicht geheilt, sondern getötet wurden.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2004/0376