http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2004/0485
485
Robert Schuman und Hans Furier
Deutsch-französische Verständigung und die Grundlegung
der europäischen Institutionen
Heinz G. Huber
Beim Nominierungsparteitag der baden-württembergischen CDU 1953 in
Freudenstadt schlug der Vorsitzende der südbadischen CDU, Anton Dichtet
, den Freiburger Juraprofessor und Rechtsanwalt Hans Furier für einen
relativ aussichtslosen Listenplatz auf der Landesliste vor. Sein Weggefährte
, der spätere Bundeskanzler Kiesinger, erinnerte sich später daran, dass
Furier gar nicht ernsthaft den Wunsch hatte, gewählt zu werden, sondern
nur der „guten Sache dienen" wollte.1 Da die Christdemokraten mehr als
45 % der Wählerstimmen erhielten, zog Furier über die Landesliste in den
Bundestag ein. Als homo novus machte er als Berichterstatter des Auswärtigen
Ausschusses bei der Debatte des Parlamentes über die Pariser Verträge
1955 auf sich aufmerksam. Dem Bonner Beobachter Walter Henkels
fiel an Furier nicht nur dessen Äußeres - sein schöner Kopf mit der hohen
Stirn und die grau melierte Künstlermähne auf, sondern seine überragenden
Fähigkeiten, mit der er in kürzester Zeit in die Spitzengruppe der Fraktion
vorgestoßen war.2 Seit 1957 vertrat er den Wahlkreis Offenburg.
Als Experte für Urheber- und Wirtschaftsrecht war er für seine Fraktion
eine willkommene Verstärkung. Sein Schwerpunkt wurde jedoch die Europapolitik
und die Entwicklung der parlamentarischen Institutionen Europas
. Anlässlich seines 100. Geburtstages - Furier wurde am 5. Juni 1904 in
Lahr geboren - stellt sich die Frage nach dessen Bedeutung neu.3 Die politische
Gegenwart des Jahres 2004 macht offenbar, wie wichtig die europäische
Politik geworden ist: Europa wird um zehn osteuropäische Staaten erweitert
, die Verabschiedung der Europäischen Verfassung steht bevor. Das
21. Jahrhundert wird das Jahrhundert Europas sein.4 Umso erstaunlicher ist
aus der heutigen Rückschau, dass Politiker wie Hans Furier, die eine Pionierfunktion
wahrnahmen, kaum zur Kenntnis genommen wurden, vielleicht
deswegen, weil Furier nie dem „inner circle" der Macht5 angehörte.
In den sieben Bänden der Erinnerungen von Konrad Adenauer wird der
Name Furier nicht ein einziges Mal genannt, obwohl er auf europäischer
Ebene vor allem als Präsident des Europäischen Parlaments 1960-1962 in
der Amtszeit Adenauers eine beachtliche Rolle spielte. Vielleicht nahm
Adenauer Furier übel, dass dieser nach dem Verlust der absoluten Unionsmehrheit
1961 Adenauer wegen dessen wenig überzeugender Haltung nach
dem Mauerbau und wegen seiner unklaren Haltung in der Nachfolgefrage
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2004/0485