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Rezensionen
und in Günter Grass' Erzählung „Das
Treffen in Telgte" (1979) diskutiert. Die
minuziöse Erfassung aller Einzelausgaben
der Grimmelshausenschen Gourage bis
zur Gegenwart hin. ihrer je verschiedenen
Behandlung des Textes im Spannungsfeld
politischer und ideologischer Interessen
(übrigens auf der Grundlage einer eigenen
privaten Sammlung von Editionen) ist eine
Leistung, die bisher in der Literaturwissenschaft
ausgeblieben war (Man fragt
sich, ob es auch Ausgaben des Romans
für die Schule gab).
Die Analyse von Brechts bekanntestem
Drama, eben „Mutter Courage und
ihre Kinder" steht im Zeichen der politischen
, der kriegerischen Ereignisse des
Jahres 1939, in dem das Drama entstanden
ist. Die Umwandlung der kinderlosen
„Erzbetrügerin und Landstörzerin" in die
Mutter dreier Kinder, die allesamt dem
Krieg zum Opfer fallen, ist die wichtigste
Veränderung gegenüber der Vorlage bei
Grimmelshausen. Doch die Verurteilung
des Krieges als Mittel der Politik und die
Verantwortung auch der kleinen Leute für
den Ausbruch und den Verlauf von Kriegen
, das hat Brecht mit Grimmelshausen
gemein.
Die Struktur der heiter daherkommenden
Erzählung von Günter Grass ist kompliziert
, auch hier in Hinsicht auf den fiktiven
Erzähler. Anscheinend spielt Courage
, jetzt Libuschka genannt, nur eine
Nebenrolle. Bei genauer Untersuchung
stellt sich heraus, dass sie es ist, die in ihrer
Hassliebe den Simplicius, alias den
Gelnhauser dazu provoziert, seine Lebenserinnerungen
, den „Simplicissimus",
zu schreiben, ja, dass sie ihn zum Dichten
unter Dichtergenossen anspornt.
Dem modernen Leser ist eine überzeugende
Zusammenschau der drei großen
Ausformungen dieser Gestalt und eine
brauchbare Interpretationshilfe geboten.
Freilich wird das Buch der ausgebreiteten
Diskussion um den Roman Grimmelshausens
(siehe das Literaturverzeichnis und
das Register im Anhang) noch kein Ende
bereiten. Sagt doch Courage selbst im ersten
Kapitel, sie bilde sich ein, „die Seele
seye ihr gleichsam angewachsen". Es
bleibt ein hartnäckiger Fall.
Walter E. Schäfer
Landesarchivdirektion Baden-Württemberg
/ Hochstuhl, K. (Hrsg.): Deutsche
und Franzosen im zusammenwachsenden
Europa 1945- 2000. Stuttgart
, W. Kohlhammer 2003,176 Seiten.
Ein Kolloquium über die deutsch-französischen
Beziehungen in der 2. Hälfte
des 20. Jahrhunderts - ausgerichtet vom
Frankreich-Zentrum der Universität, dem
Institut Francais und dem Staatsarchiv -
alle in Freiburg - ist das Thema von sechs
Beiträgen in diesem Sammelband. Zunächst
wird von Frank Raberg allgemein
über die Verwaltungsstruktur und deren
spezielle Problematik bezüglich des Er-
nährungs- und Landwirtschaftswesens in
„Baden - französ. Besatzungsgebiet" und
in „Württemberg-Hohenzollern" berichtet.
In einem grundlegenden Beitrag von Edgar
Wolfrum erfahren wir von der französischen
Politik in der Besatzungszone -
einmal aus der seit 1986 ermöglichten
Sichtung der Besatzungsakten, zum anderen
aus der Perspektive von Zeitzeugen.
Es stellt sich die spannende Frage nach
der Zusammenfügung eines mehrschichtigen
Bildes, das eben auf ganz unterschiedlichen
Grundlagen beruht. Hier
schließt sich der Aufsatz von Rainer Bendick
über die schon gleich nach 1918 aufgenommenen
Schulbuchgespräche an.
Grundsätzlich war man sich einig, dass
ein historischer Sachverhalt erst durch Berücksichtigung
mehrerer Standpunkte erhellt
werden kann. Ein Mangel bleibt
allerdings, dass die nächste Vergangenheit
wegen der fehlenden Distanz der Zeitgenossen
zunächst ausgespart bleiben muss.
Die deutsch-französische Aussöhnung
mit dem Elysee-Vertrag von 1963 liegt
heute auf beiden Seiten als Erfolgsgeschichte
durch ein Geschichtsbild der
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