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Eine Kindheit und Jugend im Hanauerland
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Kehler Grenzbote
von Neumühl aus das Artilleriefeuer, das große Schäden in der Innenstadt
und am Münster anrichtete. Im Gegenzug beschossen die Franzosen am
24. und 25. August Kehl und zerstörten vor allem das Häuserviertel zwischen
Hauptstraße, Friedensstraße, Schulstraße und Blumenstraße. Kehl
wurde geräumt, und wie in früheren Kriegszeiten fanden die Kehler Aufnahme
in den Dörfern des Hanauerlandes. In Kork wurden 90 Kehler Familien
einquartiert, auch der „Kehler Grenzbote" wurde nach Kork verlegt.
Die Korker Bevölkerung nahm die Kehler freundlich auf; sie wunderte sich
nur, dass einige Kehler Geschäftsfrauen täglich zum Frisör gingen. Die
Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln war nie in Frage gestellt,
nur das Salz wurde manchmal knapp. Die französische Artillerie konnte
Kork nicht erreichen, aber bei Westwind hörte man den Donner der Geschütze
, und die Fensterscheiben klirrten.
Aber was uns und jedermann am meisten quälte, war der Kanonendonner.
Denn jetzt wurde Straßburg belagert. Der war, wenn das Wetter danach
war, so stark, daß die Fenster klirrten. Ein Tischchen am Fenster gegen
Westen zitterte oft so stark, daß ich nicht mehr daran schreiben konnte.
Nachts standen die Leute lange am Kirchweg und schauten hinüber zu der
eingeschlossenen Stadt, auf die sich in schönem, feurigem Bogen langsam
Granate um Granate, Bombe um Bombe senkte.
Pfarrer Albrecht war bei uns. Er hatte Besuch machen dürfen bei Soldaten
aus seinem Dorf, die vor Straßburg lagen. Nun stand er bei uns und sah
hinüber nach der armen Stadt. Einmal hörte ich ihn vor sich hinsagen: „Jerusalem
! Jerusalem!" Es ergriff uns tief, dies leise Wort! Albrecht hatte eine
volkstümliche Darstellung der Zerstörung Jerusalems geschrieben und
mochte Bilder des Grauens vor sich haben, die die unseren weit übertrafen.
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