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Johann Gottfried Tulla und die Korrektion des Oberrheins
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de in Karlsruhe mäkelte wieder an allen Belegen herum: warum Komödie?
Warum Aufwartung? Warum zwei Zimmer? - so dass am Ende der Gesandte
Freiherr von Reitzenstein längere Berichte über Tulla nach Karlsruhe
schicken musste als über die Geheimverhandlungen mit Tallyrand und
der französischen Diplomatie: Paris sei drei- bis viermal so teuer wie
Deutschland, Tulla esse schlechter als ein Bedienter in Karlsruhe und Tul-
las seit - sage und schreibe - zehn Jahren getragener Rock sei dringend eines
Ersatzes bedürftig.
Tulla selbst aber verlor auch im fernen Paris den Rhein nicht aus den
Augen. Er lernt den Generalinspektor Lebrun kennen, berichtet nach
Karlsruhe: „Herr Lebrun ist sehr für die Rheinkorrektion, und er hat, wie
er mir sagt, dem Minister des Innern den Vorschlag gemacht, daß man eine
Kommission von deutschen und französischen Ingenieurs ernennen soll,
welche Vorschläge machen sollen, wie und auf welche Art der Rhein in
Schranken gehalten werden soll und kann. Es ist daher nach meinem Dafürhalten
keine Zeit zu verlieren, die Sache in Gang zu bringen, um endlich
einmal dahin zu kommen, dass man sämtliche Rheinbauarbeiten nach einem
festgesetzten Grundplan behandeln kann."
Während Tulla in Paris sein großes Projekt verfolgt, geht am Rhein der
Kleinkrieg zwischen rechts und links weiter. Tulla: „So hat die Gemeinde
Selz (linksrheinisch) gegen die Zuschließung des Gänsrheins bei Plittersdorf
(rechtsrheinisch) protestiert, und ich für meinen Teil sehe nicht ein,
wie man die Unbilligkeit dieser Protestation beweisen kann als dadurch,
daß nach allen bis jetzt entworfenen Plänen der Rhein niemals durch den
Gänsrhein geleitet werden kann. Sobald ein allgemeiner Plan von deutscher
und französischer Seite entworfen und angenommen ist, fallen dergleichen
äußerst verdrießliche Einwendungen und Streitigkeiten von selbst
weg."
Selz gegen Plittersdorf war kein Einzelfall, ähnlichen Ärger hatte es gegeben
zwischen dem badischen Auenheim und der Ruprechtsau, dem heutigen
Straßburger Vorort Robertsau. Ärger gab es auch auf der Höhe von
Wörth und Knielingen - aber hier kam es dann zu badisch-französischer
Kooperation. Im Oktober 1812 wird in Straßburg von den französischen
Vertretern des Magistrat du Rhin und von Monsieur Tulla, Ingenieur en
Chef du grand-Duche, eine Vereinbarung unterzeichnet, nach der sechs
Durchstiche vom Knielinger Steinwiesengrund bis zur Schröcker Fähre
den bisher in weiten Windungen fließenden Rhein in ein gerades oder sanft
gebogenes Bett bringen sollten. Die Arbeiten sollten koordiniert werden,
die Kosten verteilt, desgleichen das geschlagene Holz. Die neuen Deiche
werden parallel verlaufen. Das gemeinsame Rheinprojekt konnte in Angriff
genommen werden.
Nein! So einfach hat es die Weltgeschichte dem Oberingenieur Tulla
nicht gemacht. Inzwischen ist Napoleons größenwahnsinniger Russland-
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