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Uwe Schellinger/Gerhard Mayer
„Schloofers" Julius Seiler (1906-1972) aus Ottenheim zu vergleichen, der
von 1920 bis zu seinem Tod von unzähligen Menschen konsultiert und
durch den „Lahrer Hellseherprozess" von 1927 republikweit bekannt wurde
. Der in seiner Heimatgemeinde hoch geachtete Seiler - man eignete
ihm nach seinem Tode sogar eine Ehrung durch eine Straßenbenennung zu
- kann sicherlich als bekannteste Heilerpersönlichkeit in der Ortenau in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelten.90
Alle hier genannten Personen wird man nach einer Definition von Harald
Wiesendanger als „traditionelle Heiler" bezeichnen können. Mit dieser
Typisierung verbindet sich „ein schlichter Mensch mit geringer Bildung
aus unteren sozialen Schichten, der meist in ländlichen Gebieten wirkt und
vornehmlich aus innerer Berufung hilft. [...] Der traditionelle Heiler denkt
und handelt weitgehend intuitiv [...] Wenn er erklären soll, wie und warum
er heilen kann, trägt er keine ausgefeilte Theorie vor."91 Diese Heilerpersönlichkeiten
waren zumeist geachtete Mitbürger ihres Gemeinwesens, integriert
in die alltäglichen Abläufe ihrer Dorfgemeinschaft. Joseph Weber
lässt sich mit den genannten Personen kaum mehr vergleichen, da er weder
in Schutterwald noch in Niederweiler ein anerkanntes Mitglied der Dorfgemeinschaft
war, sondern eher als Fremdling oder gar Störfaktor angesehen
wurde. Weiterhin unterscheidet ihn seine von einem plötzlichen und einschneidenden
Umschwung geprägte Lebensgeschichte von den „traditionellen
" Heilerbiographien, in denen die Heilertätigkeit direkter in den jeweiligen
persönlichen Alltag mit eingebunden wurde.92 Auch dauerte die
Laufbahn als Heiler bei den Vorläufern ungleich länger an als bei Weber.
Josef Weber - ein klassischer Typus des modernen „Wunderheilers"?
Ein Fazit
In der Vergangenheit wurden verschiedentlich Versuche unternommen,
durch das offizielle Medizinsystem explizit nicht autorisierte Heilerpersönlichkeiten
einer Typologisierung zu unterziehen oder „Heilerprofile"93 zu
entwerfen. Vorschläge hierzu liegen etwa aus dem Umfeld der ethnologischen
Forschung zur so genannten Völksmedizin vor. Ebermut Rudolph hat
aufgrund seiner Feldstudien den Typus des religiös geprägten, lokal verankerten
„süddeutschen Volksheilers" beschrieben, der weitgehend mit Webers
historischen Vorläufern am Oberrhein in Einklang zu bringen ist.94
Anita Chmielewski-Hagius hat bei den Laienheilern zwischen traditionellen
„Glaubens- und Gebetsheilern" und „modernen Heilern" unterschieden
. Erstere stützen sich vorwiegend auf überliefertes Wissen und heilen
mit Gebeten oder Sprüchen, während die zweite Gruppe verschiedene medizinische
Außenseitermethoden oder außereuropäische Medizinformen
anwendet. Gemeinsam ist beiden Heilertypen, dass sie aufgrund ihrer
Nichtzulassung „am Rande der Legalität" und deshalb zumeist inoffiziell
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