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Josef Werner
Zumeist uneheliche Kinder, deren Mutter nicht in der Lage war, ausreichend
für ihr Kind zu sorgen, wurden auf Vermittlung des „Armenrats" in
die Pflege und zur Versorgung durch private Personen gegeben. Hierzu
wurde ein Verpflegungs-Vertrag abgeschlossen, in welchem nicht nur die
jährliche Vergütung, sondern auch die Pflichten des Verpflegers usw. geregelt
waren. Die Höhe des Verpflegungsgeldes bewegte sich ab Anfang
1900 wohl entsprechend dem Alter des Kindes zwischen 60 und 140 Mark
jährlich. In den älteren Rechnungsbelegen vor 1900 ist durchweg zu ersehen
, dass der „Wenigstnehmende" das Kind zur Pflege zugeteilt erhielt.
Pflegekinder waren in vielen Fällen eine zusätzliche Arbeitskraft und Einnahmequelle
, obwohl nach § 4 des Vertrages der Pflegling nicht zu Geschäften
verwendet werden durfte, welche nachteiligen Einfluss auf die
körperliche oder die geistige Entwicklung haben konnten. Ausgeschlossen
war jedenfalls die Beschäftigung in Fabriken.
Was heute als Wohngeld für minderbemittelte Mieter bei der Gemeinde
beantragt und über die Wohngeldstelle des Landratsamts bezahlt wird,
gewährte die Gemeinde bereits vor über 150 Jahren. Für eine ganze Reihe
von Anträgen beschloss der Gemeinderat im Jahre 1852 der „Bitte um
Unterstützung für den Hauszins zu willfahren". Der Zuschuss wurde
nach der Größe der Familie bemessen und lag zwischen 3 und 10 Gulden
jährlich.
Die Finanzmittel der Gemeindekasse wurden wohl auch wegen diesen
vielfältigen Armenunterstützungen immer geringer. So ist in den Protokollen
zwischen 1854 und 1860 immer wieder zu ersehen, dass die Gemeinde
dringend notwendige Maßnahmen kaum durchführen konnte. Finanzielle
Forderungen der Obrigkeit, wie z.B. zur Zahlung von Rückständen für
Truppenverpflegung aus den Jahren 1848 und 1849, und zwar innerhalb
von drei Wochen zur Vermeidung eines Vollstreckungsverfahrens, begegnete
die Gemeinde dadurch, dass sie die rückständige Summe von 478
Gulden anteilig auf die vier Stabsgemeinden Heimburg, Gebirg, Bottenau
und Obernesselried-Illental verteilte. Wie diese das Geld aufbrachten, ist
dem Protokoll nicht zu entnehmen.
Zur Entlastung der Gemeinde trug bei, dass man mehr und mehr Auswanderungen
nach Amerika zustimmte, um sich der Last der Armen zu
entledigen. Josef Bader trug dem Gemeinderat vor: „Durch Vermittlung
meiner Verwandten in Amerika ist mir Gelegenheit geboten nach Amerika
mit meinen Kindern auszuwandern. Wie es dem Gemeinderat bekannt ist,
besitze ich nach Abzug meiner Schulden kein Vermögen und bin nicht im
Stande meine Schuldigkeit in die Stabskasse des Heimburgerstabs im Betrag
von 21 Gulden zu berichtigen. Ich bitte mir deshalb diese Schuld
nachzulassen." Der Gemeinderat ließ Bader mit seinen zwei Kindern unter
Erlass der Schulden nach Amerika ziehen. So wie man ärmere Bürger ger-
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