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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
86. Jahresband.2006
Seite: 305
(PDF, 120 MB)
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Nur die Spitze des Eisbergs

305

Im Rahmen meiner Nachforschungen stieß ich auf erhebliche Widersprüche
zwischen der von Leonow geschilderten Tat und dem später bewiesenen
Massaker, welches von der Staatsanwaltschaft bearbeitet wurde.
Diese Widersprüche könnten zum einen daher rühren, dass sich Nikolai
Leonow nach zwanzig Jahren nicht mehr detailgenau an die geschilderten
Ereignisse erinnern konnte, zum anderen könnte es sich bei der geschilderten
Tat auch um ein weiteres Verbrechen handeln, das nur zum Teil Ähnlichkeiten
mit dem Massaker des 12. April 1945 aufweist. Die Ausführungen
des Nikolai Leonow habe ich dem im Offenburger Stadtarchiv einsehbaren
Bericht der Staatsanwaltschaft entnommen. Dabei ist zu sagen, dass
in diesem Bericht nicht die komplette Übersetzung des Briefs von Nikolai
Leonow enthalten ist und sicherlich auch nicht wörtlich aus der Übersetzung
zitiert wurde, da die in Anführungszeichen gesetzten, wiedergegebenen
Briefauszüge in der indirekten Rede geschrieben wurden. Die Originalübersetzung
des Briefes wäre für eine genauere Untersuchung mit Sicherheit
sehr hilfreich und könnte eine tendenziöse Wiedergabe oder Veränderung
des Textinhalts aufdecken.

Doch nun möchte ich mich zunächst auf das vorliegende Schreiben der
Staatsanwaltschaft beziehen, in dem die Aussagen Leonows wie folgt
wiedergegeben werden: „Im März 1944 sei vom KZ Flossenbürg ein Eisenbahnzug
mit 280 Häftlingen nach Offenburg gegangen. Nach dreitägiger
Fahrt seien die Leichen von 120 Häftlingen aus dem Zug geworfen
worden, die wegen Erschöpfung oder an Hunger gestorben oder von der
SS totgeprügelt worden seien. Die Leichen seien 3 km von einer Stadt entfernt
an einem Bahndamm aufgeschichtet worden; dies sei in der Morgendämmerung
, noch vor Sonnenaufgang geschehen. ...

In der Kaserne Offenburg hätten sich im März 1944 48 zu lebenslänglicher
Haft Verurteilte wegen angegriffener Gesundheit im Krankenrevier
befunden. Die SS sei ins Krankenrevier gestürmt und habe die Kranken mit
Bajonetten erstochen; ein Teil sei getötet worden, indem man ihre Köpfe
auf den Zementfußboden schlug, vielen seien die Schädel durchstochen
worden. Wer Widerstand geleistet habe, dem habe man die Arme aufgeschnitten
. Die Leichen seien von Blut, Gehirnmasse und Kot überströmt
gewesen. Dabei seien umgekommen: Der Unterleutnant Nikolaj Jemelja-
ninko aus Weißrussland, Oberleutnant Gmylkow aus Moskau, Chemieingenieur
Boris aus Charkow u. a. Die Leichen der Ermordeten seien am
Stadtrand von Offenburg in Bombentrichtern verscharrt worden. "7

Das stärkste Argument dafür, dass es sich bei dem von Leonow geschilderten
Verbrechen nicht um das Massaker vom 12. April handelt, liefert
dessen präzise Angabe der Namen von drei Opfern: Unterleutnant Nikolaj
Jemeljaninko aus Weißrussland, Oberleutnant Gmylkow aus Moskau und
Chemieingenieur Boris aus Charkow. Diese Personen tauchen nicht auf der
überlieferten Liste der Getöteten vom 12. April auf.8 Daraus ergibt sich


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