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Andreas Lörcher
entweder, dass Leonow die Tat des 12. April meint, die genannten Namen
aber erfunden hat, oder dass es sich hier um ein anderes Verbrechen handelt
. Dass Leonow hier vorsätzlich gelogen haben soll, erscheint mir nicht
sehr naheliegend. Weshalb sollte er so präzise Angaben machen, wenn diese
nur irreführend und somit kontraproduktiv sind und zur Aufklärung des
Massakers nichts beitragen können?
Die Vermutung der Ermittler, dass es sich bei den von Leonow geschilderten
Opfern um Häftlinge des Flossenbürger Bauzuges handelt, ist nirgends
begründet. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat die Staatsanwaltschaft
aus dem Umstand, dass Leonow aufgrund einer Transportliste als einer der
645 KZ-Häftlinge9 des Bauzuges des KZ-Flossenbürg gelten kann, geschlossen
, dass das beschriebene Verbrechen auch an Häftlingen dieses
Bauzuges verübt wurde. Dagegen spricht jedoch, dass die von Leonow genannten
Opfer nicht auf der Transportliste dieses Bauzuges erscheinen.
Damit stellt sich die Frage, wer diese drei genannten Personen waren und
in welchem Zusammenhang sie sich in Offenburg befanden. Dazu gibt es
eine Vielzahl von Möglichkeiten. Zum einen befanden sich zur Zeit des
Zweiten Weltkriegs zahlreiche Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in Offenburg
und zum anderen gab es außer dem Bauzug des KZ-Flossenbürg
noch drei weitere SS-Baubrigaden. Wie in den Ausführungen der Staatsanwaltschaft
zu lesen ist, gab Nikolaij Leonow an, dass die beschriebenen
Verbrechen „ihm bekannt geworden oder von ihm selbst erlebt worden
seien"10. Aus den staatsanwaltlichen Akten geht hervor, dass Leonow bei
dem Massaker des 12. April nicht Augenzeuge gewesen sein kann, weil
er nicht zu denjenigen Personen gehörte, die sich zur Tatzeit in der Kaserne
befanden. Auch wenn es sich um ein anderes Verbrechen als das des
12. Aprils handeln sollte, ist es gut möglich, dass er seine Informationen
von Häftlingen anderer Baubrigaden, Kriegsgefangenen oder Zivilarbeitern
hatte. Die Gelegenheit zum Informationsaustausch war gegeben, denn die
KZ-Häftlinge der vier Baubrigaden, wie auch zahlreiche Zwangsarbeiter
arbeiteten zusammen an den Gleisanlagen und im Ausbesserungswerk des
Offenburger Bahnhofs. Wenn die drei von Leonow genannten Personen bei
einem Massaker in Offenburg umkamen, so kann dieses Massaker nicht an
Häftlingen des Bauzuges Flossenbürg begangen worden sein, weil die genannten
Personen weder auf der Transportliste des Bauzuges noch auf der
angesprochenen Totenliste zu finden sind. Wobei wiederum gesagt werden
muss, dass die Transportliste des Bauzuges nicht vollständig ist. Dies folgt
zum einen aus der Aussage des Häftlings und Kapos, Otto Alex, der zu
Protokoll gab, dass er sich bei der Aufstellung des Bauzuges im KZ-Flossenbürg
„dazugeschmuggelt" hat." Des Weiteren waren die Toten des
Bauzuges, die auf dem Friedhof in einem Massengrab begraben wurden,
zum Teil nicht in der Transportliste verzeichnet. Das heißt wiederum, dass
dem Bauzug mehr als 645 Häftlinge angehörten. Der Umstand, dass die
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