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Johannes Werner
ten, noch bevor die Gemeinschaft auf festen Füßen stand; jetzt, nach
über 60 Jahren, war es endlich so weit. So lange hatten sie geduldig gewartet
, im Vertrauen darauf, auf dem richtigen Weg zu sein und zum
Ziel zu kommen.
Immerhin, der Wind hatte sich gedreht und blies ihnen und den anderen
Gemeinschaften nicht mehr ins Gesicht. Die Schwestern von Schwarzach,
die in die Vereinigten Staaten ausgewandert waren, kamen zurück und ließen
sich in Erlenbad5 nieder; die Schwestern vom Tretenhof ließen sich in
Gengenbach6 nieder; ihnen schlössen sich die Schwestern von Kürzell,
jetzt Heiligenzell, notgedrungen an. Die Schwestern vom Allerheiligsten
Heiland aus dem elsässischen Niederbronn bauten ihr deutsches Mutterhaus
in Bühl.7 Auch die alten Orden wurden wieder zugelassen. Nachwuchs
stellte sich reichlich ein. Was jetzt, um 1920, geschah, hätte hundert
Jahre früher niemand für möglich gehalten. Die Ordensgeschichte geht,
wie gesagt, wunderbare Wege.8
Und wie ging es in Neusatzeck weiter? Die Schwestern, die seit 1925 auch
das Ordenskleid der Dominikanerinnen trugen, übernahmen ein Fürsorgeheim
in Ettlingen, ein Müttergenesungsheim in Schönwald, ein Exerzitienhaus
bei Wyhlen, ein Altenpflegeheim und ein Krankenhaus in Karlsruhe.
Sie betrieben Nähschulen, Kindergärten und Ambulanzen in 31 südbadi-
schen und sogar saarländischen Orten. In Neusatzeck selbst gab es das
Kur- und Exerzitienhaus, ein Altenheim und eine Arbeitsschule, die sich
zur Dienstbotenschule, dann - nach dem nächsten Krieg - zur Haushaltungsschule
, schließlich zur hauswirtschaftlichen Sonderberufsfachschule
für behinderte Mädchen entwickelte.
Dieser Krieg ging auch an dem abgelegenen Neusatzeck nicht spurlos
vorbei - ganz im Gegenteil. Das Kurhaus wurde beschlagnahmt und diente
erst als Seuchenlazarett, dann nacheinander als Unterkunft für Evakuierte
aus dem Elsass, für rumänische, für slowenische, für russische Umsiedler,
für Kinder aus einem Heim in Neuß, nochmals für 250 Elsässer, die von
den Deutschen ausgewiesen worden waren.9 Man war bis aufs Äußerste
angespannt und atmete auf, als der Spuk vorüber war.
Danach ging es umso schneller voran. Während die Zahl der Schwestern
auf 230 stieg, wurde in Neusatzeck fleißig gebaut: ein Pfortengebäude,
eine Schwimmhalle, ein Schulgebäude, ein Altersheim - der Eckhof hatte
schon früher weichen müssen. Die Klosterkirche St. Agnes, ein Bau schon
von 1864, wurde durch Wilfrid Perraudin verändert, der das Mosaik in der
Apsis schuf, die Mutterhauskapelle durch Klaus Ringwald, der (mit Bernd
Wissler) den Altarraum zur nicht nur künstlerischen Mitte machte.
In ihr, der Kapelle, zeigt sich deutlich der Grund, auf dem diese Gemeinschaft
steht, und der Geist, aus dem sie lebt. Sie ist, seit es sie gibt,
ein Ort der immerwährenden eucharistischen Anbetung; immer knien zwei
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