http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2006/0458
458
Hedwig Büß
schaft. Mit den riesigen Traktoren konnte man die durch die Flurbereinigung
entstandenen großen Flächen Landes besser bearbeiten; das früher
ausgedehnte Bewässerungsnetz wurde zugeschüttet oder verdolt. Der Lebensraum
war also diesem früher als Ungeziefer bezeichneten Getier weitgehend
genommen.
Warum sollte man einen alten Brauch weiterhin pflegen, nachdem
der Anlass - die Schlangenplage - längst geschwunden ist? Wir wissen,
dass an anderen Orten diese Uberlieferung seit Generationen aufgehört
hat zu existieren. So schreibt z. B. Franz Disch in seiner Chronik von
Wolfach (S. 436), dass bis etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts an Petri
Stuhlfeier die Schuljugend vom Pfarrhaus aus durch die verschiedenen
Straßen und Gassen zog und vor den Häusern Obst (Apfelschnitz und
Hutzeln), Kupfermünzen etc. erbettelte, indem sie folgenden Spruch
herunterleierte:
Peter, Peter, Sturm!
Schlangen und die Wurm,
Peterstag isch bald vergange,
verrecke alli Krot un Schlange.
Hier rus! Hier rus!
Öpfel und Bire zum Lade rus!
Schon 1895 schrieb der damalige Volksschullehrer Franz Schlecht in Beantwortung
des volkskundlichen Fragebogens, dass das „Hierausrufen"
nicht mehr besteht. Immerhin wusste man noch von diesem Volksbrauch.
Im benachbarten Städtchen Haslach wird jedoch bis in die Gegenwart
der „Storchentag" gefeiert. Dort hat der Bürgermeister von „Hasle", Kaspar
Bosch, der während des Kulturkampfs das Amt innehatte, sich gewehrt
, dass der „Storketag", das Hochfest der Haslacher Kinder, abgeschafft
wurde. Er ließ nicht zu, dass dieser alte Brauch als Kinderbettelei
abgestempelt wurde, so berichtet Heinrich Hansjakob über seinen Verwandten
.
Der Storchenvater, heute ist es Herr Kraftcyk, betet also heute noch um
zwölf Uhr mit den Kindern in der Mühlenkapelle ein Vaterunser und den
Engel des Herrn und zieht dann mit ihnen etwa drei Stunden durch die
Straßen und Gassen von Haslach. Er trägt einen langen Mantel, einen Zylinderhut
mit zwei aufgemalten Störchen und zwei auf den Rücken geschnallten
Brotlaiben. Hansjakob schrieb, dass zu seiner Kinderzeit der
„Storke-Karli" einen leibhaftigen ausgestopften Storchen auf einem großen
Hut getragen habe. Der Storch, bzw. die Störche heute, weisen auf den Ursprung
des Brauches hin. Nach mündlicher Überlieferung soll einst Ungeziefer
gedroht haben, die ganze Ernte aufzufressen. Auf ein Gelübde hin
hätten Scharen von Störchen dieser Gefahr ein Ende bereitet.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2006/0458