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Johannes Werner
seiner Braut „für 3 Wochen in den Schwarzwald (Adresse Hotel Bären,
Hornberg i. Schwarzwald, Schwarzwaldbahn). Ich hoffe dann endlich zu
dem geschuldeten Brief zu kommen."5 Denn wieder, wie vor fast zwanzig
Jahren, hatte er sich etwas vorgenommen, etwas aufgeschoben, was nun
keinen weiteren Aufschub duldete. Walter Benjamin hatte ihm am 31. Mai
nämlich den Entwurf seines geplanten Hauptwerks, des sagenhaften „Passagen
-Werks"6, geschickt, und Teddie Wiesengrund schrieb ihm („Hornberg
i. Schwarzwald. Hotel Bären. 2. August 1935^4. August 1935"7) ausführlich
, was er davon hielt; und zwar auf fünf Seiten, die er „einer schwer
defekten Maschine"8 abringen musste, wohl der einzigen, die es im „Bären
" gab; sodass er sich für das „Aussehen dieses Briefes"9 eigens entschuldigte
. An eben diesem „berühmten Hornberger Brief'10, wie er seither
heißt, kommt keiner vorbei, der sich sei's mit dem Verfasser, sei's mit
dem Empfänger ernsthaft beschäftigt. Schon am 29. Juli hatte er (unter
demselben Absender) an Ernst Krenek, den Wiener Komponisten und Kritiker
, geschrieben und ihm u. a. schöne Ferien gewünscht - „in jedem Betracht
bessere, als ich sie habe"." Doch damit nicht genug; Teddie verfass-
te auch noch einen kleinen Aufsatz über Gustav Mahler, der im nächsten
Jahr in einer Wiener Zeitschrift erschien.
Man weiß, wie es weiterging. Theodor Wiesengrund, der sich (auf dem
Umweg über Wiesengrund-Adorno) schließlich Theodor W. Adorno nannte
, emigrierte 1938 in die USA, wo er eng mit Max Horkheimer und seinem
„Institut für Sozialforschung" zusammenarbeitete. Nach seiner Rückkehr
nach Deutschland, nach Frankfurt, wurde er zum Vordenker und Vorläufer
derer, die in Philosophie, Soziologie, Literatur und Musik neue Wege
gehen wollten.12 Am 6. August 1969 ist Theodor W. Adorno in Visp im
Wallis gestorben; in den Ferien, die er im geliebten Gebirge verbrachte. Er
sei, so sagte er, „ein Bergmensch"13; und was er „in den Ferien"14 suche,
sei die „Einsamkeit"15.
Der „Bären" selber
Dass die Berge „das Rechte"16 für ihn waren, hatte er vielleicht in Hornberg
gelernt. Und vielleicht hatten die Berge bei Hornberg (wie die bei
Amorbach, wo er sonst seine Ferien verbrachte) „das Kind sacht an den
Umgang mit dem Gebirge gewöhnen"17 können; und gewiss gehörte auch
Hornberg zu dem „Süddeutschland meiner Kindheit"18, an das er sich immer
erinnerte und nach dem er sich immer sehnte. Doch was hatte ihn nach
Hornberg geführt, und was, ausgerechnet, in den „Bären"?
Der „Bären" war - 1550 erbaut, 1698 erneuert, 1892 und 1895 erweitert
- das älteste und beste Haus am Ort; er hatte 56 Zimmer mit 75 Betten, einen
großen und einen kleinen Saal mit einer Bibliothek, ein Badehaus; eine
„Dependance" mit Remisen, Ställen, einer Bierstube, einer Terrasse und
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