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Martin Ruch
Auch Esthers Schwestern Myriam und Eva haben in ihrem Schweizer
Fluchtort Erinnerungen an Offenburger Chanukkatage festgehalten:
„Ascona, 20.11.1943. Gutes Vatilein! (...) Nun ist schon bald Chanuka.
Oh, wenn ich mich erinnere jetzt an frühere Chanukas. Es war immer so
ein schönes Fest. Wir waren alle glückliche zufriedene Menschen. Wie
schön war es doch, als wir abends die Lichtlein enzündet haben, und wir
gemeinsam unser schönes altes Lied ,Maos-zur jeschuosi' sangen. Und jeden
Tag mehr Lichtlein. Und am 7ten Tag, wenn sie alle brennen, dann
machten wir das grosse elektrische Licht aus und sahen zu, wie die Kerzlein
so langsam eins nach dem andern verlöschten. Das ist uns immer so
ein friedlicher Augenblick gewesen. Auf diese Abende hatten wir uns immer
gefreut. "57
Auch Jacob Picard hat kurz beschrieben, wie das alte Lied in Wangen am
Bodensee erklang: „Chanukka, wo wir das Maos Zur wie ein Kampflied
sangen ..."58 Mit großer Inbrunst sang Siegfried Schnurmann dieses Lied
noch in hohem Alter. Eine Tonaufnahme befindet sich in der Judaica-
Sammlung des Museums Offenburg: ein einzigartiges Dokument mit weiteren
musikalischen Beispielen der in Offenburg gesungenen synagogalen
Musik.
Das Chanukka-Spiel schildert Clementine Neu im Tagebucheintrag vom
12. Dezember 1923: „Chanuka waren wieder Tage, d. h. Abende der Freude.
Man spielte nicht um Geld, denn es gibt noch keine Pfennige - 1 Pfennig
sind 10 Milliarden — sondern um Nüsse und Chocolade. Aber das Interesse
war nicht weniger groß. Wie viele schöne, alte Erinnerungen birgt dieses
Fest. Die schönen Spielabende daheim und die großen Einladungen, wo das
halbe Dorf geladen war. Das Gröschle, das Suchen nach Pfennigen. Alis
(Tochter Alice) hat mich mit einer reizenden Handarbeit überrascht und die
Buben beschenkten mich mit ihren Handfertigkeits-Modellen. "59
Als Chanukka-Geschenk erhielt Esther Cohn 1939 ein leeres Tagebuch
von der Mutter. In diesem Heft hat sie die folgenden Jahre bis zur Deportation
nach Theresienstadt festgehalten.
„Sonntag, 3.12.1939 München. Ich freute mich auf diesen Sonntag ganz
besonders, da ich Muttis Chanukka-Geschenke mitgenommen habe. Mutti
hat sich sehr gefreut damit. Ich mich auch, als ich sah, wie sie sich freute.
Auf einmal sagt Mutterle zu mir: ,Mach mal die Augen zu und dreh dich
rum.' Jetzt dachte ich mir, daß ich meine Geschenke in Empfang nehmen
darf. Mutti setzte mir eine grünseidene Kapuze auf, die ich mir gewünscht
habe. Als ich nachher auch noch das gewünschte Tagebuch mit Schlüssel
bekam, war ich ganz selig. Ich fiel meiner süßen Mutti um den Hals und
bedankte mich vielmal. "60
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