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„Trenderle" und „Holegrasch": Spuren jüdischen Brauchtums in der Ortenau
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Purim
Das Fest Purim (Losfest) erinnert an die Rettung der Juden vor dem Mordanschlag
Hamans durch die Königin Esther. Purim ist ein Fest der Freude
und der Nächstenliebe. Jeder soll an diesem Tag gut essen, auch Alkohol
ist ausdrücklich erlaubt.
Es war in Nonnenweier üblich, Purimküchle (fettgebackene Küchlein,
die den Fasnetküchle der Christen ähneln) zu backen.61 Die Kinder verkleideten
sich und zogen durch die Gemeinde. Theaterstücke wurden aufgeführt
, die das Thema darstellten. Diese Tradition kannte man auch in der
jüdischen Gemeinde Offenburgs. Ein Purim-Spiel aus der Stadt ist erhalten
geblieben. Es stammt von der Schriftstellerin Sylvia Cohn, die es 1935 zur
Aufführung in der Synagoge dichtete. Behandelt wird darin der alte, biblische
Stoff vom Verbrecher und Massenmörder Hamann und der Retterin
Israels, Esther. Sylvia Cohn selbst aber ist dem Hamann (Hitler) des
20. Jahrhunderts zum Opfer gefallen.62
Ansonsten feierten die Offenburger Juden die weltliche Fasnacht zusammen
mit allen Mitbürgern. Auch in einem bekannten Offenburger Fasnachtsspruch
verbirgt sich eine Erinnerung an die Juden der Stadt. Denn
das lauthals gerufene „Hoorig, hoorig, hoorig isch die Sau, und wenn die
Sau nit hoorig wär, no hätt der Stein kei Rosshoor mehr" bezog sich
scherzhaft auf die Rosshaarspinnerei Stein in der Lange Straße. Auch diese
Firma wurde dann im Dritten Reich „arisiert", die jüdischen Besitzer vertrieben
oder getötet. Das ehemalige Fabrikgebäude (wenige Meter von der
Synagoge auf der andern Straßenseite entfernt) ist erst 1998 endgültig abgebrochen
worden. Lächelnd erinnerte sich Siegfried Schnurmann (1907-
2004) noch kurz vor seinem Tode an diesen Fasnachtsvers aus seiner Offenburger
Kinderzeit.
Clementine Neu notierte 1924:
„In den Tagen meines Aufenthaltes (in Wangen am Bodensee) fiel auch das
Purim-Fest. Ich feierte es zusammen mit Bruno Rothschild und seinen
Freunden, aber bedauerte nicht wenig, daß ich hier (in Offenburg) das Fest
nicht besuchen konnte. Ich hatte für Erich und Alis eine Schnitzelbank gedichtet
, die großen Anklang fand, und dabei der kleine Erich den Haupterfolg
des Abends zu verzeichnen hatte. Er hatte die Rolle des Schnorrers,
der sich für hiesige Neuigkeiten interessiert. Er kam mit Cylinder, kaputen
Regenschirm, Schnupftabaks und farbigen Taschentuch. Alis und Erwin
hatten zu musizieren feine klassische Sachen. Erich hat sich geradezu berühmt
gemacht als Komiker, die Begeisterung war ungeteilt. "63
Arnold Lederer: „Es gab natürlich ausgesprochen jüdische Veranstaltungen
an Freudenfesten, wie z. B. der jüdische Karneval, das Purimfest,
wo die Jugend unter sich getanzt hat und Theater gespielt wurde. "64 „Am
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