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Religionsgeschichte als Familiengeschichte: Die Chewra Kadischa in Kippenheim
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die Bildung einer Chewra Kadischa unmittelbar nach einer Gemeindegründung
. Der Beerdigungsbruderschaft oblag die Betreuung der Kranken und
Sterbenden, die rituelle Waschung und Bestattung der Toten, die Durchführung
von Gedächtnisgottesdiensten sowie die Friedhofspfiege. Ihre unver-
zichtliche und exponierte Stellung im Gemeindeleben erlaubte der Bruderschaft
zudem eine gewisse Sozialkontrolle. Die Mitgliedschaft in einer
Chewra Kadischa galt als besonderes Ehrenamt, das nur angesehenen Mitgliedern
einer Gemeinde zugestanden wurde und aufgrund der hohen Eintrittsgelder
wohl auch nur den wohlhabenderen Personen möglich war.12
In Deutschland liegen schriftliche Informationen über Beerdigungsbruderschaften
erstmals aus dem 17. Jahrhundert vor, etwa für Frankfurt,
Halberstadt, Worms, Emden, Hamburg oder Mainz.13 Aus Südbaden wird
für den Ort Gailingen die Gründung einer Beerdigungsbruderschaft für das
Jahr 1676 angenommen.14
Im Wissen um die bedeutungsvolle Funktion, welche die Beerdigungsbruderschaften
(pl. Chewrot Kedischot) im Leben der einzelnen jüdischen
Gemeinden spielten, erstaunt es, wie wenig spezielle Forschungsarbeiten
zu dieser wichtigen religiösen und sozialen Institution vorliegen. Eine unlängst
erschienene internationale Fachbibliographie nennt für einen Zeitraum
von hundert Jahren zwischen 1888 und 1998 und lediglich 18 relevante
Arbeiten, darunter jedoch keinen einzigen deutschsprachigen Beitrag
nach dem Jahr 1929.15 Fast hat es den Anschein, dass die selbstverständliche
Unverzichtbarkeit der Beerdigungsbruderschaften diese Vereinigungen
für nähere Beschreibungen uninteressant machen. Diese schmale Forschungsbasis
findet ihre Entsprechung für die jüdischen Gemeinden in der
Ortenau.
Beerdigungsbruderschaften in der Ortenau
Auch in jeder jüdischen Gemeinde der Ortenau gab es „eine Vereinigung,
die als Aufgabe hat, den Toten die letzte Ehre zu erweisen", wie es Arnold
Lederer aus Diersburg beschreibt.16 Die Teilnahme der Beerdigungsbruderschaft
am Trauerritual war unverzichtbar, wie unter anderem eine Verordnung
des badischen Oberrats der Juden von 1831 zum Ablauf von Beerdigungen
dokumentiert: „Hinter dem Sarg folgen die Leidtragenden Verwandten
und der Vorsteher, die Mitglieder der Chewra Kadischa und der
Wohltätigkeitsgesellschaft in schicklicher Ordnung paarweise hintereinander
."17 Allerdings liegen bislang kaum Kenntnisse über die lokalen Beerdigungsbruderschaften
vor, die über allgemeines Wissen hinausreichen. Insbesondere
auf die jeweiligen Träger dieses Ehrenamtes wurde bisher nicht
näher eingegangen. Welche Personen wurden in den Ortenauer Landjudengemeinden
tatsächlich für diese angesehene Tätigkeit ausgewählt? Die Soziologin
Elfie Labsch-Benz, die in den siebziger Jahren für Nonnenweier
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