http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2008/0158
158
Gerhard Finkbeiner
Auf den vierzig streugesiedelten Hofgütern waren die Bauernfamilien
ausgelastet.
In der örtlichen Stumpenfabrik, Filiale einer Zigarrenfirma im benachbarten
Seelbach, arbeiteten nur Frauen und Männer aus nichtbäuerlichen
Familien. Dass ein Bauernsohn oder eine Bauerntochter in die Fabrik geht,
war nicht üblich, weil nicht standesgemäß.
Sonntags gingen Groß und Klein, Jung und Alt traditionsgemäß zur Kirche
. Während des Gottesdienstes sorgte der „Kirchenstupfer" bei den Kindern
und Jugendlichen für ein gesittetes Benehmen. Die Kirche und religiöses
Brauchtum waren im Alltagsleben des bäuerlichen Menschen fest
verankert und begleiteten ihn im vorgegebenen Rhythmus durch das kirchlichbäuerliche
Jahr.
Erziehungsprobleme mit den rund 240 Schulkindern in acht Jahrgangsklassen
gab es so gut wie nicht.
Die Lehrer und Lehrerinnen waren im Dorf angesehen, waren Autoritätspersonen
und wurden von den Eltern im Allgemeinen in ihrer Unterrichts
- und Erziehungsarbeit unterstützt.
Noch wechselten die begabten Mädchen und Jungs - mit ganz wenigen
Ausnahmen - nicht auf weiterführende Schulen. Das Leistungsniveau in
den Hauptschulklassen war entsprechend hoch - und das Lehrerdasein motivierend
.
Da man als Lehrer wenig verdiente und sich deshalb kein Auto leisten
konnte, wohnten die Lehrkräfte im Dorf und waren somit auch mit den
häuslich-familiären Verhältnissen der Schulkinder bestens vertraut.
Freizeit-Engagement der Lehrer und Lehrerinnen in den örtlichen Vereinen
, vor allem im neu gegründeten Turnverein, war normal.
Schuttertal war, so mein Eindruck in den ersten Dienstjahren, ein Dorf
mit starker Traditionsgebundenheit, christlich geprägten Wertvorstellungen
, mit intakten Familienstrukturen und gelebter Nachbarschaftshilfe.
Die Tracht war das Sonntags- und Festtagskleid
Am eindruckvollsten dokumentierte sich für mich die kultivierte Lebensform
der Dorfbewohner im Jahreskreislauf der kirchlich-bäuerlichen Feste.
Am Patroziniumsfest, an Ostern, am Weißen Sonntag, an Pfingsten und
Fronleichnam, am Skapulier- und Erntedankfest waren es vor allem die
vielen Trachtenträgerinnen, die mich tief beeindruckten und mir stets im
Gedächtnis bleiben werden. Schien auch noch die Sonne, dann war der
„Kirchgang" ein unvergleichlich farbenfrohes, festlich-stimmungsvolles
Bild, ein Gemälde, ein Bild vollendeter Kultur.
Aus dem Michelbronn, Kambach, Regelsbach, vom Unter- und Obertal,
aus dem Durenbach und Laulisgraben ging es familienweise zu Fuß zur
Kirche.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2008/0158