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Ein vergessener Brauch: Schülerpostkarten vom Gymnasium Euenheim
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gart, Godesberg, Essen, Neunkirchen und Köln. Nur vier waren Ettenhei-
mer. Je einer kam aus Kenzingen, Herbolzheim, Schmieheim. Das einzige
Mädchen der Klasse war Luise Jaffe aus Godesberg. Doch ihr galt das
Winken ja nicht.
Sieben weitere Schüler legten als Schulfremde die Prüfung in Euenheim
ab, wohl eine einmalige, doch recht kuriose Angelegenheit. Diese Externen
kamen ebenfalls von weit her. Die zwei interessantesten seien genannt:
Adolf Himstedt aus Loebau in Westpreußen und Anatolija Dmitrieff aus
St. Petersburg. Ob diese externen Prüflinge wie die regulären Schüler
ebenfalls eine Abiturientenkarte verschickten, ist unbekannt.
Passend zu dieser Abschiedskarte gaben die Schüler der Ettenheimer
Pennälerverbindung 1913 ein eigenes Büchlein mit „Mulusliedern" heraus,
in dem selbstverständlich das bekannte Studentenlied „Gaudeamus igitur"
seinen Platz gefunden hat. Bemerkenswert ist jedoch insbesondere, dass
dieses Liedheftchen mit dem Titel „Nun leb denn wohl Gymnasium!" auch
ein achtstrophiges Lied enthält, das ebenfalls dem Abschiedsthema der
Abiturientenkarte von 1912 gewidmet ist:
So leb denn wohl Gymnasium!
Ich scheide ohne Trauern.
Ich trieb mich lang genug herum
In deinen dumpfen Mauern.
Du sollst mir stets in Ehren sein,
Doch kriegt kein Pferd mich mehr hinein.
Trallarum, lirum, larum,
Hicfinis est curarum.
Und die Quintessenz der Abiturprüfung, die Umwandlung zum Mulus, findet
ihren Ausdruck in der fünften Strophe: „Heut ächzet kein Pennäler
mehr, ein muntres Maultier trabt daher."
Die Abiturientenkarten von 1913 bis 1939
Nicht alle Abiturientenkarten lagen zur Interpretation für diese Veröffentlichung
vor, außerdem wären es zu viele gewesen. So sollen wenigstens einige
Motive der bekannten Karten aufgezählt werden. 1913 blickt ein im
Wasser mühsam Voranschreitender zu der hinter den fernen Bergen aufgehenden
Sonne empor, 1921 ist abermals der Abschied thematisiert, 1925
geht es der Goldenen Freiheit entgegen, 1926 werden zwei Lehrer karikiert
, 1926 vergießt ein einzelner Maulesel ein paar Abschiedstränen, 1927
schwebt ein Adler mit einem Lorbeerkranz über dem Gymnasium, 1929
stöhnt ein Abiturient unter einer Druckerpresse und 1930 scheint noch einmal
die Sonne verlockend hinter dem Gebirge hervor. Fantasielos wirken
dagegen die Karten von 1932, 1933 und 1934, die nur simple Klassenfotos
bieten.
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