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Zur Bedeutung von Wilhelm Hausenstein
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als welcher er ja aus gutem Grund auch Botschafter hieß, vermittelte er
zwischen zwei Nationen, die nach allem, was geschehen war, einer solchen
Vermittlung, ja einer Versöhnung dringend bedurften.
Auch wenn man das Werk derart auf den Punkt bringt: was bleibt, ist
seine ungeheure Menge und Fülle, Breite und Tiefe, die sich einem ebenso
ungeheuren Fleiß verdankt. Seine rund 80 Bücher sind ja nicht vom Himmel
gefallen. Und dabei war er niemals nachlässig, nein: Genauigkeit
zeichnete ihn aus. „Vielleicht realisiert sich der Schriftsteller im Schreiben;
sicher ist, dass er sich damit umbringt: Es ist ein entsetzlicher Beruf. Es ist
nichts schwerer als Schreiben."16 Immer wieder, und immer öfter, ergriff
ihn „die ungeheure Angst vor dem Schreiben, und dies bis in den Schlaf
hinein, wo mir denn Stellen, die mehr oder weniger verfehlt sein könnten,
aufs Gewissen fallen wie Untaten, ja wirklich wie Verbrechen."17 Selbst
die Texte für die Tageszeitung wurden solange verbessert, bis sie gut genug
waren - und nicht nur die eigenen; als Redakteur führte er Korrespondenzen
, in denen es nur um ein Komma ging.
Geradlinigkeit zeichnete ihn ebenfalls aus. Dem so genannten „Dritten
Reich", vor dessen „pseudonationaler Ideologie"18 er schon sehr früh gewarnt
hatte, hat er nicht die geringsten Zugeständnisse gemacht: nicht, als
seine „Kunstgeschichte" eingestampft wurde, weil sie wohl kaum „mit einem
normalen rassischen Empfinden in Einklang zu bringen"19 war, und
weil er sich weigerte, die jüdischen Künstler zu eliminieren oder zu degradieren
; nicht, als er in der Ausstellung „Entartete Kunst" als „Kunstkritiker
der Systemzeit"20 angeprangert wurde; nicht, als er aus der „Reichsschrifttumskammer
" und der „Reichspressekammer" ausgeschlossen wurde,
nicht mehr schreiben durfte und schließlich sogar um sein Leben und um
das seiner Angehörigen fürchten musste. Da war er, wenn er „an Deutschland
in der Nacht"21 dachte, oft „um den Schlaf gebracht"22 - nicht anders
als, 100 Jahre früher, jener Heinrich Heine, dessen Name dieses Haus
trägt; dieses Haus, dessen Grundstein Hausenstein 10 Jahre später legte.
Geradlinig war Hausenstein auch dann, wenn er die Seiten wechselte, ja
gerade dann: wenn er dem Sozialismus, mit dem er sich nicht nur seine
akademische Laufbahn verbaut hatte, abschwor, weil er ihm 1919 „in einem
unmöglichen Kompromiß mit der Rechten zu stehen schien"23; wenn
er dem Expressionismus, dessen Propagandist er gewesen war, abschwor,
weil der Stil immer mehr zur bloßen Mode verkam; wenn er vom Protestantismus
zum Katholizismus konvertierte, weil er dort die Sicherheit zu
finden glaubte, die er von Anfang an gesucht hatte.
Hausenstein blieb seiner Sache, blieb sich selber treu; und auch seinen
Freunden: Theodor Heuss, den er schon von München her kannte und den
er dann hier, in Paris, vollends kennen lernte, als er, Hausenstein, bei der
ehemaligen Königin von Neapel als Vorleser angestellt war; Rainer Maria
Rilke, der sein Trauzeuge war; Rene Schickele, Karl Wolfskehl, Hans Ca-
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