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Christel Seidensticker
Der Geburtstag
Zu seinem 70. Geburtstag am 15. April 1902 hatte sich Wilhelm Busch alle
Ehrungen verbeten und zog sich unerreichbar für Gratulanten zurück. Dennoch
konnte er nicht verhindern, dass er gefeiert wurde. Der Kaiser schickte
ein Telegramm. Die Zeitungen ehrten ihn. Sie widmeten dem Jubilar
Sondernummern. Nicht „Max und Moritz" waren für diese Zeitschriften
interessant, sondern „Der heilige Antonius". Das Thema reizte immer
noch. Für die Titelseite der Jubiläumsausgabe der „Jugend" malte der
hochbetagte Friedrich Kaulbach ein Porträt, die Hommage schreibt unter
dem Pseudonym „Biedermeier mit ei" der Redakteur Fritz von Ostini. Sie
beginnt mit einem Satz, der heute auch heute noch für manche Bücherschränke
gelten mag:
In meinem Bücherschrank am besten Platze
Sind Wilhelm Buschens Werke aufgestellt.1®
* *
In Osterreich ergab sich ein Geburtstagsgeschenk ganz besonderer Art. Bis
1902, also bis über 30 Jahre nach Erscheinen, blieb der Antonius dort verboten
. Den Geburtstag nahmen Mitglieder der Alldeutschen Partei zum
Anlass, einen Antrag auf Freigabe zu stellen. Damit die Abgeordneten auch
wussten, worüber sie am 16. April 1902 abstimmten, wurde dem Antrag in
den Parlamentsblättern ein vollständiger Abdruck hinzugefügt. Der Antrag
wurde angenommen. Antonius war frei.
Noch lange war den in Österreich verkauften Exemplaren der Vermerk
hinzugefügt: In Österreich verboten! Freigeworden durch die Interpellation
in der 122. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 16. April 1902.
Doch das Ende ist nicht heiter
Antonius, das war schon kurz nach Erscheinen klar, gedieh dem Verleger
zum großen Erfolg. Den Prozess hatte Moritz Schauenburg glücklich überstanden
, die Maschinen in Lahr ratterten. Sie brachten Arbeit nach Lahr
und für die Drucker auch Nachtschichten. Die Ehefrau des Verlegers beklagt
sich am 5. April 1873, dass sie wegen des Lärms der Druckmaschinen
in ihr Gästezimmer niemanden mehr legen könne, weil darunter in der
Druckerei die ganze Nacht über gearbeitet werde: Es mußten geschwind
1000 heilige Antoniusse fertig gemacht werden.
Nach der Freigabe hätte eine lange und gute Zusammenarbeit zwischen
Autor und Verleger beginnen können, sollte man meinen. Es sah zunächst
auch einmal so aus. Busch arbeitete bereits an der frommen Helene und an
den Bildern und Texten für die Jobsiade. Zwar bremste er im Frühjahr
1871 noch den tatkräftigen Moritz Schauenburg, als der auf einem Ver-
tragsabschluss bestand, aber immerhin verhandelte man schon die Bedin-
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