http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2008/0612
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Berichte der Fachgruppen
Zum Abschluss der Exkursion fuhren wir noch zum Heidenkirchle St. Nikolaus in Freisten
Es gilt als das älteste Gotteshaus im Hanauerland. Eine Erstnennung ist erst aus dem
Jahre 1574 überliefert, der Ursprung der Kirche wird aber aufgrund der Mauerwerkstechnik
wesentlich früher, nämlich im 11./12. Jh. angesetzt. Ein Eichenbalken über der Eingangstür
wird dendrochronologisch gar ins 9./10. Jh. datiert, kann aber eventuell zweitverwendet
sein. Interessant sind in diesem Zusammenhang die kleinen Rundbogenfensterchen mit
leicht parabolischer Ausformung der Leibungen. Diese Fensterform ist aus dem 10./11. Jh.
bekannt. Es herrscht in der Literatur aber keine Einigkeit darüber, ob sie original erhalten
sind oder diese Form erst durch Ausflickungen entstanden ist. Äußerlich gleicht die kleine
Chorturmkirche stark der Nikolauskapelle in Hausgereut, der Chorturm in Freistett ist aber
nicht gleichzeitig mit dem Langhaus entstanden. Zuerst war ein tonnengewölbter Chor angebaut
, der erst im 13./14. Jh. zu einem Chorturm erweitert wurde. 1628-30 wurden Turm
und Kirchendach durch einen Brand zerstört und in leicht veränderter Form - mit offenem
Dachstuhl - wieder aufgebaut. Nach dem 30-jährigen Krieg verlor das Heidenkirchle mehr
und mehr an Bedeutung. Erst 1950 wurde renoviert und seit 1952 ist es wieder als Gotteshaus
geweiht. 1972 fand die letzte Renovierung statt. Malereien sind heute nicht mehr zu
sehen. Es gibt aber Überlieferungen, nach denen vier runde Heiligenbilder in „fast erloschenen
Farben" vorhanden gewesen sein sollen. Die Rede ist auch von den Füßen einer schwebenden
Gestalt. Diese Beschreibung ist besonders interessant. Im Mittelalter, besonders in
der Romanik, wurden Personen oft auf einer schiefen Ebene stehend dargestellt, also mit
nach seitlich unten zeigenden Füßen. Sind nur noch die Füße erhalten, ohne Fußboden oder
anderes Beiwerk, kann leicht der Eindruck des Schwebens entstehen. Hier könnte - mit der
gebotenen Vorsicht - vielleicht ein Hinweis auf eine romanische Ausmalung vorliegen.
Hinter dem schlichten Äußeren des Heidenkirchles verbirgt sich ein hochinteressantes Bauwerk
. Wenn wieder eine Restaurierung ansteht, sollte eine bauhistorische und restauratorische
Untersuchung ins Auge gefasst werden. Sie kann Klarheit über das tatsächliche Alter
bringen, und möglicherweise lassen sich unter dem Putz doch noch Reste von Malereien
entdecken. Falls ja, könnten sie sogar in die Romanik zurückreichen.
Bernhard Wink, Regine Dendler
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