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Steinbach, das Stadtrechtsprivileg von 1258 und die Markgrafen von Baden
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chardi erinnerte die Stadt 1749; 1654 datierte sie die Stadtrechtsurkunde
des römischen Königs Reichardi bei einem ähnlichen Pro Memoria auf
1285.5 Auch wenn das historische Wissen also unklar war und aus dem
König ein Kaiser wurde, waren ein hohes Alter ebenso wichtig wie der
ehrwürdig-fremde Klang des Herrschernamens. Die phonetische Verwechslung
des kurzen „i" von Richard mit dem langen von riche, das zu
„ei" diphtongiert, verrät die Bedeutung des Uralten für die Gegenwart. Ihr
Alter und die ferne Majestät legitimieren die aktuellen Rechtsverhältnisse
und in der konkreten Situation wird das „schon immer" zur Instanz: 1749
lässt sich die Gemeinde vor der markgräflichen Regierung dahin vernehmen
das unter glorreichster Regierung des Kaysers Reichardi anno
1258, sodann von Ihro Hochfürstlichen Durchlaucht Herrn Marggrafen
Wilhelm Höchstseligen Angedenkens in anno 1644 sie von allen oneribus
gleich die statt Freyburg hievon eximiert, befreyet worden seyen und bisher
weder Leib- noch Bürgerschatzung abgeführt hetten, auch solchs niemahls
an Sie als jetzo neuerlich angefordert werde, also verhofften, bey ihren uralten
privilegiis gnädigst zu manuteniren6. Und nicht nur die Bürgerschaft
zieht das Stadtrechtsprivileg von 1258 heran, wenn es um die allgemeine
Abgabenlast geht, sondern auch der einzelne Bürger weiß sich gegenüber
Obrigkeit und Mitbürgern darauf zu berufen.7
Dabei haben wir bei der Reichweite des Stadtrechts zu unterscheiden
zwischen Innerstadt und Vorstadt - das war vor allem den Innerstädtern
bewusst und lieferte Konfliktstoff. Soweit die Ringmauer um sich begreiffi,
hielt man sich für frei von Leibeigenschaft und damit auch frei von Fron;
wenn man den Wohnsitz in der Innerstadt aufgeben wollte, war kein Abzugsgeld
zu zahlen, man besaß also Freizügigkeit. Ob mit dieser Freiheit
aber auch tatsächlich die Freiheit von allen oneribus, von allen Leistungen
gemeint war, war mehr als fraglich. Steuern aller Art wurden regelmäßig
gefordert und gezahlt. Selbst die Leibfreiheit scheint zunächst auch in der
Innerstadt nicht durchweg gegolten zu haben. 1297 befreite Markgraf Friedrich
II. den Steinbacher Hof eines Gernsbacher Bürgers von der Abgabe
von Heu und Futter und von Frontagen - das konnte noch auf Sonderverhältnissen
eines Einzelfalls beruhen.9 Wenn die Steinbacher aber Markgraf
Bernhard 1401 bei der Huldigung insgesamt geloben mussten, Leib und
Gut nicht zu entfremden, galten sie offenbar nicht als Freie. Bei Bernhards
Sohn, Markgraf Jakob, huldigten sie 1431 ausdrücklich als Eigenleute,
zwar in der guten Gesellschaft von Pforzheim oder Kuppenheim, aber auch
zusammen mit vielen einfachen Dörfern10; nur Baden-Baden und Ettlingen
waren von dieser Formel befreit. Bis ins 16. Jahrhundert scheint demnach
die Freiheit der Steinbacher zumindest durchlöchert, wenn nicht nur auf
dem Papier bzw. Pergament des Stadtrechtsprivilegs gegolten zu haben.
Noch 1575 verlangte die Herrschaft ohne Einschränkung Fron von allen
Bewohnern der Stadt. Erst im 17. Jahrhundert hören wir von Auseinander-
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