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Der Froschmäusekrieg
Ein seltener venezianischer Wiegendruck (1486) in der
Historischen Bücherei Offenburg
Manfred Merker*
Eine kleine Randnotiz und ihre Folgen
Als der neue Direktor des Großherzoglichen Gymnasiums in Offenburg,
Professor Franz Weißgerber, im Jahre 1841 seine Schulbibliothek „genauer
durchforschte", machte er im Katalog der Bücherei eine aufregende Entdeckung
, die er unter der Überschrift „Alterthumsfreunden zur Nachricht"
des Jahresprogramms für das Schuljahr 1841/42 (SeiteVI) der Öffentlichkeit
vorstellte. Er hatte beim Vergleich mehrerer klassischer Schulautoren
eine „sehr alte Ausgabe der Batrachomyomachie" (= Homers „Froschmäusekrieg
") entdeckt. Bei einer genaueren Untersuchung fand er heraus, dass
sie um zwei Jahre älter war, als die bislang als älteste geführte Florentiner
Ausgabe des Chalkondylas von 1488, die der gelehrte Altphilologe Weißgerber
entweder kannte oder ebenfalls in der Bibliothek vor Augen hatte.
So wurde der neue Direktor, der bereits seit 1834 als Gymnasiallehrer an
der Schule unterrichtete, schon in seinem ersten Amtsjahr zum Entdecker
eines bedeutenden Wiegendrucks aus dem Erbe der Klosterbibliothek. Begeistert
beschreibt er sie als „besser in der Anordnung der Verse", der „Lesearten
" und der „Scholien" (= Kommentare), die er „roth gedruckt" über
dem Text lesen konnte. Sein Fazit: „Diese Ausgabe ist die wahre editio
princeps (= Erstausgabe), höchst interessant und würdig, neu edirt zu werden
." Ob Weißgerber, der als kritischer Herausgeber altgriechischer Lyrik
dazu sicher in der Lage gewesen wäre, sich dieser verlockenden Aufgabe
tatsächlich unterzogen hat, ist nicht bekannt.1
Ermutigt die durch die sensationelle Wiederentdeckung der Amerikakarte
Martin Waldseemüllers aus dem Jahre 1507 in einer Aristotelesausgabe
derselben Franziskanerbibliothek versuchte der Autor, gewissermaßen
ein später Lehramtsnachfolger Weißgerbers am selben Gymnasium,
dieser kleinen Randnotiz nachzugehen. Die Nachfrage in der Offenburger
Stadtbibliothek war erfolgreich: Die von Weißgerber entdeckte Homerausgabe
von 1486 ist im Sicherheitstrakt der „Historischen Bibliothek" unversehrt
vorhanden: gut konserviert, klimatisch wohltemperiert, in vollem
Umfang, - und trotz erheblicher Holzwurmlöcher in allen Teilen noch
vollständig lesbar.2 Wie konnte dieser kostbare Wiegendruck aus der Zeit
kurz nach der Erfindung des Buchdrucks über mehr als ein halbes Jahrtausend
bis in unsere Zeit unversehrt alle Kriege überstehen, namentlich den
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