http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2009/0350
350
Andreas Gößner
Anlässlich der Wiederwahl zum Oberbürgermeister 1912 kam es zu einem
Zwischenfall, der durch eine Personalentscheidung und parteipolitische
Loyalitäten ausgelöst wurde. Hermann hatte sich, einer Vorgabe des
Unterrichtsministeriums folgend, bei der Neubesetzung des Direktorenpostens
an der (künftig aufgewerteten) Oberrealschule nicht zugunsten des
Stelleninhabers ausgesprochen. Da der bisherige Schulleiter Mitglied der
Zentrumspartei war und seine Parteikollegen mobilisieren konnte, enthielten
sich bei der Oberbürgermeisterwahl am 1. Juni die Mitglieder dieser
Partei im Stadtrat und Bürgerausschuss ihrer Stimme. Damit war der nationalliberal
orientierte Katholik Hermann zunächst nicht gewählt und zog
empört seine Kandidatur zurück. Nachdem er von vielen Seiten eindringlich
gebeten worden war, sich erneut zur Wahl zu stellen, wurde er am 16.
Juni mit 64 von 67 Stimmen wiedergewählt.22 Die Offenburger Presse hat
das damalige Verhalten der Führer der Zentrumspartei scharf kritisiert.23
Zu den ersten großen Ereignissen nach der Wiederwahl gehörte die Einweihung
des ab 1910 gebauten Krankenhauses im Oktober 1912, bei der
auch die Großherzogin Luise von Baden anwesend war. Diesem Festakt
vorausgegangen waren etwa eineinhalb Jahrzehnte, in denen nach Feststellung
der Notwendigkeit eines neuen Krankenhauses aus medizinischer
Sicht ein großes Gelände erschlossen und ein Bauwettbewerb durchgeführt
worden war. Hermann hat zur Einweihung im September 1912 eine Denkschrift
veröffentlicht, in der es unter anderem heißt:
So viel ist sicher, daß die Bürgerschaft Offenburgs mit dieser Schöpfung
„ein wichtiges Stück sozialer Fürsorge gelöst und sich ein
Denkmal gesetzt hat edler Humanität und großbürgerlichen Gemeinsinns
"24
Noch im selben Jahr gab es auch in der kommunalen Bildungspolitik einen
denkwürdigen Fortschritt:25 Das 1899 in Betrieb genommene Gebäude für
eine weiterführende Schule - neben dem in Offenburg bestehenden Gymnasium
- war bereits wenige Jahre später viel zu klein geworden. Zur Behebung
des Platzmangels wurde 1912 ein zeitgemäßer Schulbau eingerichtet
und der Lehrbetrieb unter der neuen Bezeichnung „Oberrealschule"
aufgenommen. Erst 1915 konnte aber dieser Neubau vollständig seiner Bestimmung
übergeben werden.
Das Offenburger Rathaus war nicht die einzige Plattform für Hermanns
politisches Engagement, vielmehr hat er sich auch in die politischen Vorgänge
des Kreises und in den Verbandsstrukturen der badischen Kommunalpolitiker
aktiv eingebracht. Aus diesem Betätigungsfeld heraus wurde das Offenburger
Stadtoberhaupt 1913 auch zum Mitglied der Ersten Kammer des
badischen Landtags ernannt. Die Landtagseröffnung am 27. November 1913
war die letzte ihrer Art, in der sich in Karlsruhe monarchisches Zeremoniell
in der alten Pracht entfaltete:26 Nach dem Gottesdienst versammelten sich
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2009/0350