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Martin Ruch
Lehre als Mechaniker. Der vom Vater gegründete Betrieb hatte damals seinen
Standort in der Kopfhalle am „Stadtbuckel". Der eigentliche Berufswunsch
von Deschwanden war aber, Ingenieur zu werden. Nach der Lehre
besuchte er deshalb 1940/41 die Abendschule und schloss sie schließlich
mit der Fachhochschulreife ab.
Als Deschwanden nach Kriegsbeginn im Gegensatz zu seinen gleichaltrigen
Bekannten nicht sofort eingezogen wurde, dachte und hoffte er zunächst
, dass die Einberufungsbehörde ihn vielleicht schlicht vergessen hätte
. Später wurde ihm aber klar, dass man ihn und andere für einen Kraftfahrzeugpark
, einer Einheit zur Reparatur und Wiederinstandsetzung von
militärischen Fahrzeugen vorgesehen, jedoch noch zurückgestellt hatte, bis
dieser entsprechend vorbereitet war. Deschwanden sollte im Heereskraftfahrpark
562 in Wilna eingesetzt werden, der Plagge unterstand. Ende Juni
1941 wurde er zusammen mit ca. 30 Kollegen, vorwiegend aus dem mittel-
badischen Raum (Friesenheim, Zell-Weierbach, Kehl etc.), von Stuttgart
aus mit einem Fahrzeugtransfer nach Warschau transportiert. Zwei Tage
später, am 4. Juli 1941, traf die Mannschaft in Wilna ein. Über diese Stadt
wusste er bis dahin kaum etwas, nur dass sie auch „Jerusalem des Ostens"
oder „Stadt der Kirchen und Türme" genannt wurde.
Die Hauptverwaltung des HKP 562 und die Unterkünfte befanden sich
im Polytechnikum in der Olandustraße. Deschwanden betont im
Gespräch2, dass der HKP keine militärische Einheit im üblichen Sinne war,
sondern eher eine arbeitende Einheit, deren Auftrag die Reparatur und
Wiederherstellung von Wehrmachtsfahrzeugen war. Daher erhielten die
hier beschäftigten Soldaten auch kaum eine militärische Ausbildung. In
der Einheit gab es zwar eine militärische Hierarchie, aber im täglichen Ablaufhatte
die Arbeitshierarchie den Vorrang.
So kam etwa ein Hauptmann in den HKP, der von Haus aus Papierwarengroßhändler
war. Dieser Offizier, „ein feiner Mensch", war auch unmittelbarer
Vorgesetzter von Deschwanden. Bei ihm war nur der angesehen
, der etwas konnte - ohne Rücksichtnahme auf den militärischen Rang.
Gelegentlich, so erinnert sich von Deschwanden, verband er seine Anweisungen
sogar mit einem „Seien Sie so nett
Sehr bald nach der Ankunft in Wilna wurde Deschwanden klar, dass die
SS Juden massenhaft umbrachte. Er besteht heute noch darauf: Wenn jemand
offene Augen und offene Ohren hatte, konnte er von den ersten Tagen
an erkennen, was in Wilna vor sich ging, obwohl es weder eine offizielle
Information über die Ereignisse gab, noch unter den Männern im
HKP darüber gesprochen wurde. Über eigene Wahrnehmungen und Gedanken
zu sprechen, war nur mit ganz wenigen vertrauenswürdigen und
gleichgesinnten Freunden möglich.
Die Einheit wurde von Major Karl Plagge geleitet. Dieser war eher selten
persönlich zu sehen, und anfangs wussten Deschwanden und die ande-
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