Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
89. Jahresband.2009
Seite: 389
(PDF, 101 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2009/0389
Major Karl Plagge und Alfons von Deschwanden (Offenburg)

389

27.12.1971: „Sie fragen uns, wie wir uns gerettet haben. Es war so: Wir
sind durch das Fensterchen der Schlosserei im Lager gesprungen (4,5 Meter
hoch), dann haben wir uns in Kartoffeln versteckt und haben uns am
nächsten Morgen von diesem Platz entfernt. Ich muß Ihnen sagen: Es war
alles Schicksal. Wir sind einfach nach dem zerstörten Ghetto gegangen in
der Hoffnung, daß wir dort nicht gesucht werden. Wir haben 7 Tage beinahe
nichts gegessen und bloß unsauberes Wasser getrunken. Dann, mit viel
Glück, sind wir nach Volokumpia außerhalb der Stadt gekommen. Trotz
der großen Gefahr mußten wir die Hauptstraßen von Wilna passieren, es
war einfach ein Wunder, daß man uns nicht erkannt hat. Wir haben uns in
Büschen versteckt, bis wir uns eines Tages mitten in der Front befanden.
Mit großer Mühe und Mut ist es uns gelungen, die Frontlinie auf dem
Bauch zu durchkriechen und endlich die Freiheit zu finden."

Samuel Taboryski (geb. 1911) schrieb im Juni 1977 aus Israel: „Sehr
geehrter Herr von Deschwanden, es war für mich eine mehr als angenehme
Überraschung, zu hören, daß Sie glücklich mit dem Leben zurückkehrten
und sich an den „Tobas" (mein Spitzname) erinnern. Ich glaube, Sie erinnern
sich, daß eines Tages die HKP-Juden mit Frauen und Kindern an die
Arbeitsstelle kamen. Die Ursache war, daß man uns aus dem Ghetto vertrieb
. Wohin sollten wir gehen? Wir hatten doch keinen Platz unter dem
Himmel. So ging jeder an seine Arbeitsstelle. Sie und der Herr Unteroffizier
Götz begegneten uns so freundlich und mitleidsvoll, daß meine Frau,
die sich plötzlich in einem sauberen, beleuchteten Raum sah und so viel
Freundlichkeit begegnete, zu weinen begann. Als Herr Plagge zum Abschied
das Arbeitslager besuchte, bereitete ich sofort ein Versteck vor, wo
es uns gelang, die Liquidation des Lagers abzuwarten und mit dem Leben
davonzukommen. Bei Nacht war ein Luftangriff und am Morgen war es im
Lager so still und ruhig, kein lebendiger Mensch da, so daß wir ohne Mühe
unser „Haus" verließen. Wir gingen zu unserer ehemaligen Nachbarin und
fanden dort Gastlichkeit. Leider geschah hier das Schlimmste: Am 6. Juli
1944 standen die Russen auf der einen Seite der Straße, wo unser Schutzkeller
war, und die Deutschen standen auf der anderen Seite. Meine Frau,
die so gute und geliebte Mutter meines Kindes, wie auch unsere Gastgeberin
, gerieten ins Feuer und kamen ums Leben, als sie vom Haus zum
Schutzkeller gingen. Das war so ungerecht, unerwartet und schrecklich,
daß ich damit nicht fertig werden kann. Nur die Sorge um das Kind hielt
mich am Leben."

Angesichts der massenhaften Vernichtung von 6 Millionen Juden und
angesichts der Mittäterschaft bedrückend vieler Deutscher am Holocaust
können einzelne Namen wie Plagge und von Deschwanden und andere am
ganzen Ausmaß des Verbrechens nichts korrigieren. Aber ihre Namen bestätigen
, dass entschieden mehr hätte getan werden können von jedem einzelnen
, überall, in Wilna wie in der Ortenau.


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2009/0389